AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing
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Stasi-Unterlagen:<br />
„Operationsgebiet BRD“<br />
Die Bonner Republik nicht im Griff, aber im Blick der Stasi<br />
In der Wahrnehmung der westdeutschen Öffentlichkeit galt die Stasi<br />
lange Zeit als ein ausschließlich ostdeutsches Problem. Hunderttausende<br />
DDR-Bürger hatten als hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter<br />
bis zuletzt die wirklichen oder vermeintlichen Kritiker und<br />
Gegner des Regimes, Andersdenkende und Oppositionelle verfolgt<br />
und bekämpft. Dass die Stasi auch einen effizienten Nachrichtendienst<br />
zum Ausspionieren aller möglichen Einrichtungen, Personen<br />
und Organisationen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik<br />
unterhielt, war ebenfalls bekannt – nicht jedoch, dass<br />
Tausende von Bundesbürgern daran mitwirkten. Aus freien Stücken<br />
leisteten sie ihren Beitrag zur Bekämpfung des westdeutschen „Klassenfeindes“<br />
durch den Geheimdienst der SED und zugleich zur Stabilisierung<br />
der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland.<br />
Von spektakulären Einzelfällen<br />
abgesehen blieb das ganze<br />
Ausmaß des Verrats auch nach<br />
den Spionageprozessen in den 1990er<br />
Jahren weitgehend im Dunkeln.<br />
Inzwischen hat die zeitgeschichtliche<br />
Forschung durch die Auswertung neuer<br />
Quellen wichtige Erkenntnisse über<br />
die bundesdeutschen Spione im Dienst<br />
der Stasi zu Tage gebracht. Das heißt<br />
nicht, dass bereits alle Fragen geklärt<br />
sind: Wie viele Agenten haben wie lange<br />
in welchen gesellschaftlichen Bereichen<br />
wie erfolgreich <strong>für</strong> die DDR<br />
gearbeitet? War Bonn im Griff oder nur<br />
im Blick der Staatssicherheit? Wie sind<br />
die bekannt gewordenen „aktiven<br />
Maßnahmen“ zu bewerten? Gab es<br />
mehr Pläne als wirksame Formen der<br />
Einflussnahme durch den ostdeutschen<br />
Geheimdienst? Ist das alles bereits<br />
Geschichte oder hat die Politik noch<br />
Aufgaben zu erfüllen? Diese und weitere<br />
Fragen standen im Mittelpunkt der<br />
Tagung „Operationsgebiet“ BRD –<br />
Bundesbürger im Dienst der Staatssicherheit<br />
und die Westspionage des<br />
MfS.<br />
„Heimvorteil“<br />
In den Augen der SED hatte die Bundesrepublik<br />
als Operationsgebiet<br />
oberste Priorität, schließlich bildete<br />
der Westen „die größte Bedrohung<br />
ihrer Herrschaft“, und im Kampf ge-<br />
18<br />
gen den Feind in Westdeutschland erzielte<br />
das Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />
(MfS) große Erfolge. Dies lag aber<br />
nicht nur an der guten Ausstattung in<br />
Form von materiellen und finanziellen<br />
Ressourcen, wie Hubertus Knabe in<br />
Hubertus Knabe erläuterte die<br />
Arbeit der DDR-Spionage in der<br />
Bundesrepublik.<br />
seinem einleitenden Referat aufzeigte.<br />
Viel bedeutender war der weltweit<br />
einzigartige „Heimvorteil“, dessen sich<br />
die HVA-Spione erfreuten: Die gleiche<br />
Muttersprache, Kultur und Gebräuche<br />
sowie die Flüchtlingsströme<br />
aus der DDR, insbesondere in den<br />
1950er Jahren, ermöglichten es den<br />
feindlichen Agenten, in der Bundesre-<br />
publik sehr leicht Fuß zu fassen. Außerdem<br />
kam der Stasi die fehlende<br />
Rechtsstaatlichkeit der SED-Diktatur<br />
sowie die Stärke des westdeutschen<br />
Rechtsstaates zugute. Auf der einen<br />
Seite boten sich der <strong>für</strong> die Auslandsspionage<br />
zuständigen Hauptverwaltung<br />
Aufklärung (HVA) des MfS durch<br />
die intensive Kontrolle und Überwachung<br />
des Brief-, Telefon- und Besucherverkehrs<br />
in der DDR zahlreiche<br />
Anwerbemöglichkeiten. Andererseits<br />
war die bundesdeutsche Spionageabwehr<br />
(Verfassungsschutz) an strenge<br />
rechtsstaatliche Vorschriften gebunden,<br />
die der Geheimdienst der DDR<br />
zu nutzen verstand.<br />
Zersetzung und<br />
Desinformation<br />
Bei der Spionage bediente sich die<br />
HVA zweier Methoden: So wurden<br />
zum einen technische Quellen („Funkaufklärung“)<br />
genutzt, um Informationen<br />
über Personen, Einrichtungen und<br />
Vorgänge zu erhalten. Weitaus gewinnbringender<br />
waren jedoch menschliche<br />
Quellen. Kontaktpersonen in Westdeutschland<br />
wurden „abgeschöpft“.<br />
Stasi-Offiziere machten sich in Bonn<br />
und Umgebung an Frauen heran, die<br />
in wichtigen Ämtern oder Ministerien<br />
arbeiteten („Romeos“) und gewannen<br />
sie als Helferinnen <strong>für</strong> den Ostberliner<br />
Nachrichtendienst. Hinzu kam der<br />
Einsatz von so genannten Perspektiv-<br />
IMs (Inoffizielle Mitarbeiter) – Spione,<br />
die <strong>für</strong> spätere, zunächst noch nicht<br />
bekannte Aufgaben gewonnen wurden.<br />
Auf diese Weise wurden in den Bereichen<br />
Wissenschaft, Wirtschaft, Militär<br />
und Politik eine große Zahl bundesdeutscher<br />
Agenten und Zuträger platziert.<br />
Der Politik galt dabei die besondere<br />
Aufmerksamkeit der DDR-Spionage:<br />
So versuchte die SED durch so<br />
genannte Einflussagenten und durch<br />
aktive Maßnahmen (Desinformationskampagnen)<br />
die politischen Konstellationen<br />
sowie die gesellschaftliche<br />
Wahrnehmung zugunsten der DDR-<br />
�<br />
<strong>Akademie</strong>-Report 4/2004