Zu viel Bürokratie - Caritas NRW
Zu viel Bürokratie - Caritas NRW
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Dieter Heisig<br />
Foto: Wieczorek<br />
Gabriele Ravenstein-<br />
Klink<br />
Foto: Wieczorek<br />
Werner Marquis,<br />
Pressesprecher der<br />
Regionaldirektion für<br />
Arbeit <strong>NRW</strong><br />
Foto: BA <strong>NRW</strong><br />
10<br />
c<br />
caritas in <strong>NRW</strong> · 4/11<br />
Klima des Misstrauens<br />
Wer mit Mitstreitern der von Industrie- und Sozialpfarrer<br />
Dieter Heisig begleiteten Hartz-IV-Selbsthilfegruppe<br />
in Gelsenkirchen spricht, spürt schnell das Klima des<br />
Misstrauens, der Angst und auch der Scham, in dem die<br />
Betroffenen leben. Niemand will seinen Namen veröffentlicht<br />
sehen, wenn er über seine Erfahrungen spricht.<br />
So wie zum Beispiel die Frau, die über ihren Kampf um<br />
ihre Wohnung berichtet. Die ist etwas größer, als sie einer<br />
alleinstehenden Person im Hartz-IV-Bezug zusteht.<br />
Doch hier hat die chronisch kranke Frau seit <strong>viel</strong>en Jahren<br />
ihren Lebensmittelpunkt und gute nachbarschaftliche<br />
Kontakte. Oder die Akademikerin, die es wütend<br />
macht, wenn auf ihren Bescheiden als Kontaktperson<br />
nur eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben statt<br />
eines konkreten Namens steht.<br />
Gabriele Ravenstein-Klink vom Job-Café der Gelsenkirchener<br />
<strong>Caritas</strong> kennt solche und ähnliche Erfahrungen<br />
aus ihrer Beratungspraxis und könnte die<br />
Liste leicht um ein Vielfaches verlängern. Neben den<br />
immer wieder auftauchenden Fragen zu den Leistungsbescheiden<br />
sorgt derzeit das sogenannte Bildungs- und<br />
Teilhabepaket für Kinder aus Familien im Hartz-IV-Bezug<br />
für Verwirrung. „Das Anliegen des Pakets verdient<br />
jede Unterstützung, wie es praktisch umgesetzt werden<br />
soll, ist aber völlig unausgegoren. Auch mich stellt es<br />
vor Fragen und Probleme, auf die ich nicht sofort eine<br />
Antwort parat habe“, so Gabriele Ravenstein-Klink.<br />
Damit das Paket greift, hat die Stadt Gelsenkirchen im<br />
Sommer zwei Büros eröffnet, die bei der Beantragung<br />
von Beiträgen für den Fußballverein, die Musikschule<br />
oder den Schulranzen helfen. Auch die Broschüre der<br />
Stadt „GEfördert. Damit Ihr Kind weiterkommt“ soll<br />
dazu beitragen, die Fallstricke auf dem Weg zu mehr Bildung<br />
und Teilhabe zu umgehen. So schafft <strong>Bürokratie</strong><br />
neue Strukturen, damit die von ihr selbst aufgestellten<br />
bürokratischen Hürden nicht zur Stolperfalle werden.<br />
Normen contra lebenswirklichkeit<br />
„Auf Hartz IV angewiesen zu sein bedeutet, mit Rechtsunsicherheit<br />
leben zu müssen. Eine Ursache hierfür ist<br />
das <strong>Zu</strong>sammenspiel von rigiden Gesetzesvorlagen und<br />
Vorschriften, die sich in schneller Reihenfolge ändern<br />
und deren Regelungen und Vorschriften in der Alltagspraxis<br />
... eine große Fehlerquelle sind“, heißt es in<br />
der ISPA-Studie. Dies führe dazu, dass nicht wenige<br />
Befragungsteilnehmer den Glauben an den Rechtsstaat<br />
verloren hätten.<br />
<strong>Bürokratie</strong> und Kontrolle<br />
Das kann Werner Marquis, Pressesprecher der Regionaldirektion<br />
für Arbeit <strong>NRW</strong>, so nicht stehen lassen.<br />
Er verweist auf die über 17 Millionen Bescheide, die<br />
jährlich verschickt würden und die größtenteils korrekt<br />
seien. Da erzeuge die <strong>viel</strong> zitierte Klagewelle ein schiefes<br />
Bild. „Wir sind eine ausführende Verwaltung und<br />
administrieren Bundesgesetze. Komplexe Rechtsverhalte<br />
so umzusetzen, dass der Kunde seine Ansprüche<br />
im Rahmen der Gesetze wahrnehmen kann, und diesen<br />
Vorgang transparent zu machen ist unsere Aufgabe“,<br />
bringt es der Pressesprecher auf den Punkt. In der Praxis<br />
ist dies jedoch nicht ganz so einfach, räumt Werner<br />
Marquis ein: „Die Lebenswirklichkeit lässt sich nicht<br />
„Und wenn man nicht ständig gegen hält ...“.<br />
Die Erfahrungen von Frauen und Männern mit der<br />
Umsetzung des SgB II in Nordrhein-Westfalen.<br />
Eine Studie von Marlies Mrotzek im Auftrag des<br />
Industrie- und Sozialpfarramtes (ISPA) des Evangelischen<br />
Kirchenkreises gelsenkirchen und Wattenscheid<br />
Die Publikation kostet 9,80 Euro (bei Hartz-IV-Bezug kostenfrei)<br />
und kann im ISPA bestellt werden.<br />
Tel. 02 09 / 17 98-2 10; E-Mail: Dieter.Heisig@kk-ekvw.de