Zu viel Bürokratie - Caritas NRW
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Ständig<br />
gegenhalten<br />
Hartz IV und die <strong>Bürokratie</strong><br />
Von Manfred Wieczorek<br />
gibt man in eine Internet-Suchmaschine die Begriffe<br />
Hartz IV und <strong>Bürokratie</strong> ein, stößt man schon bei den<br />
ersten Treffern auf kuriose und absurd erscheinende<br />
Beispiele einer ausufernden <strong>Bürokratie</strong>. So soll<br />
Deutschlands dickster Hartz-IV-Bescheid 75 Seiten<br />
stark sein und ein halbes Pfund gewicht auf die<br />
Waage bringen. Auf immerhin neun Seiten brachte<br />
es ein Bescheid, weil die <strong>Zu</strong>verdienstgrenze um zwei<br />
Cent überschritten wurde. Auch dass es für einen<br />
Hartz-IV-Empfänger nicht egal ist, ob das Duschwasser<br />
mit Strom oder über die Heizungsanlage<br />
erwärmt wird, findet man schnell heraus.<br />
In Deutschland, könnte man einwenden, sind die Dinge<br />
eben geregelt. Für alle Eventualitäten gibt es Regeln,<br />
Verfahren oder Kennziffern, die festlegen, wie etwas<br />
zu handhaben ist. Doch offenbar ist längst nicht alles<br />
eindeutig, tun sich immer neue Lücken und Ausnahmen<br />
auf, gibt es Härtefallklauseln, Mehraufwand oder Sonderbedarfe.<br />
Im letzten Jahr gab es die 50. Reform der<br />
Hartz-Gesetze. Jede noch so kleine Reform setzt in der<br />
Verwaltung eine ganze Welle notwendiger Veränderungen<br />
in Bewegung. Leistungsbescheide, Eingangsbestätigungen,<br />
Rechtsbelehrungen und <strong>viel</strong>es mehr müssen<br />
geändert werden. Vieles bleibt fehlerhaft oder vage,<br />
dann entscheiden die Gerichte.<br />
Beim Berliner Sozialgericht geht an einem Arbeitstag<br />
durchschnittlich alle 16 Minuten eine Klage im <strong>Zu</strong>sammenhang<br />
mit Hartz IV ein. Mitte des letzten Jahres<br />
summierte sich die Klagewelle auf 100 000 Verfahren,<br />
und ein Ende ist nicht abzusehen. Etwa jeder zweite<br />
Kläger bekommt Recht, doch bis es so weit ist, dauert<br />
es seine Zeit. Längst haben <strong>viel</strong>e im undurchdringlich<br />
wirkenden Dschungel aus Paragrafen und Regelsätzen<br />
aufgegeben.<br />
„Und wenn man nicht ständig gegen hält ...“, so heißt<br />
eine Studie der Wissenschaftlerin Marlies Mrotzek im<br />
Auftrag des Industrie- und Sozialpfarramtes (ISPA)<br />
des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und<br />
Wattenscheid über die Erfahrungen von Frauen und<br />
Männern, die Hartz IV beziehen. Schon der Titel macht<br />
deutlich, worauf es in dieser Lebenssituation ankommt<br />
– nicht nur, aber eben auch im Kampf mit und durchaus<br />
auch mal gegen die <strong>Bürokratie</strong>. Der der Studie zugrunde<br />
liegende Fragebogen gab auch die Möglichkeit<br />
zu anonymen persönlichen Stellungnahmen. Es mag<br />
nicht erstaunen, dass diese Möglichkeit genutzt wurde,<br />
um auch mal Dampf abzulassen, und die Kritik an<br />
den Behörden teilweise sehr harsch ausfällt. Doch es<br />
ist erschreckend, wie <strong>viel</strong> an Wut, aber auch tiefer Frustration<br />
und Resignation über vermeintliche oder echte<br />
<strong>Bürokratie</strong> deutlich wird. c<br />
Dieser Obdachlose kampiert<br />
auch bei Schnee im<br />
Zelt. Vielleicht fehlen ihm<br />
Kraft und Nerven für die<br />
Auseinandersetzung mit<br />
der Hartz-IV-<strong>Bürokratie</strong>.<br />
Foto: Pohl / LAG Freie<br />
Wohlfahrtspflege<br />
caritas in <strong>NRW</strong> · 4/11 9