Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940 ...
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elastischen Spitze (Borste) und zeichnete dann ihre Schwingungen auf, indem er sie<br />
über eine berußte Glasplatte gleiten ließ (1830). Zum gleichen Zweck montierte<br />
J. M. C. Duhamel einen berußten Glaszylinder auf eine schraubenförmige Achse<br />
(mit Kurbel, Gewichtsantrieb oder Federwerk), den er damit rotieren lassen und<br />
gleichzeitig langsam seitlich an der Borste vorbeibewegen konnte; so wurde auf der<br />
Zylinderoberfläche spiralförmig eine Schwingungslinie aufgezeichnet („Vibrograph“,<br />
1843; von Thomas Young schon 1807 beschrieben) 37 .<br />
Diese Versuchsanordnung veränderte Léon Scott entscheidend für seinen<br />
„Phon-Autographen“ (1854/55). Anstelle der St<strong>im</strong>mgabel benutzte er einen Trichter,<br />
der Luftschallschwingungen auffing und zum sich verjüngenden Ende lenkte, das mit<br />
einer straff gespannten Membran abgeschlossen war; dort auftreffende Schallwellen<br />
erzeugten Vibrationen der Membran, die ein Hebelchen so auf eine Borste übertrug,<br />
daß auf der (jetzt mit abnehmbarem, berußtem Papier bespannten) Walze eine cha-<br />
rakteristische Spur eingeritzt wurde 38 .<br />
Scott konstruierte sein Gerät (mit einer Tierhaut-Membran und einer Schweins-<br />
borste als natürlichen Bestandteilen) offensichtlich nach dem Vorbild des menschli-<br />
chen Ohrs (Trommelfell und Gehörknöchelchen; noch 1874 untersuchte Alexander<br />
Graham Bell die aus zwei Leichen entnommenen Mittelohren, um Probleme bei der<br />
Entwicklung des Telefons zu lösen 39 ). In den 60er Jahren des Jahrhunderts wurde<br />
dann auch „der Natur, <strong>im</strong> wörtlichen Sinn, der Puls gefühlt“ 40 : Forscher wie Helm-<br />
holtz oder Wundt versuchten, mit Apparaten die Bewegung in Muskeln und Nerven<br />
zu messen. Genau dazu eignete sich ein rotierender, rußgeschwärzter Zylinder (wie<br />
<strong>im</strong> „Phon-Autographen“), da er auch den Zeitablauf darstellte; Etienne Jules Marey<br />
zeichnete auf diese Weise Form und Frequenz des menschlichen Pulsschlags auf<br />
(„Spymograph“, 1860) und die Bewegung eines Froschbeins, während es elektrisch<br />
gereizt wurde („Myograph“, vor 1868).<br />
Der „Phon-Autograph“ dagegen war „der erste Oszillograph für die Untersu-<br />
chung der menschlichen St<strong>im</strong>me“ 41 . Schon länger hatte man nach den physiologi-<br />
schen Bedingungen des Sprechens geforscht 42 ; um die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
37 Bruch: Von der Tonwalze, Kap.1; Jüttemann: Phonographen, S.17/20f.<br />
38 Bruch: Von der Tonwalze, Kap.1.<br />
39 Kittler: Grammophon, S.116f.<br />
40 Im folgenden nach Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, <strong>Ein</strong> Beitrag zur anonymen<br />
Geschichte, hg. von Henning Ritter, Frankfurt a. M./Wien 1994 (erstm. Oxford 1948), S.37f.<br />
41 Bruch: Von der Tonwalze, Kap.1.<br />
42 So studierte z.B. 1839 der Anatom Johannes Müller an Fortsetzung in Fußnoten Seite 13