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Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940 ...

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Endphase der Ausweitung des Menschen – der technischen Analogiedarstellung<br />

des Bewußtseins, mit der der schöpferische Erkenntnisprozeß kollektiv und korpora-<br />

tiv auf die ganze menschliche Gesellschaft ausgeweitet wird“ (so daß die „Welt nur<br />

mehr ein Dorf“ sein wird) 21 .<br />

Dieses Analogie-Modell, das die Entstehung der Medien als Wiederholen und<br />

Nachaußenverlagern der menschlichen Physiologie durch die modernen Techniken<br />

erklärt, hält auch Kittler für den „besten Beschreibungs-Approach zur Frühgeschich-<br />

te der Medien“ <strong>im</strong> 19. Jahrhundert; er kritisiert jedoch McLuhans „zu evolutionäre, zu<br />

pazifistische“ Annahme eines „allgemeinen Menschheitssubjekts“ und betont dage-<br />

gen den Zusammenhang von Medien- und Kriegstechnologien (<strong>im</strong> Sinne von Paul<br />

Virilio, der das Kino als militärische Entwicklung beschreibt) 22 .<br />

Kittler betrachtet den Phonographen dabei als Teil eines um 1900 wirksamen<br />

„Aufschreibesystems“, dessen Diskurse von der „Psychophysik“ (der frühen, natur-<br />

wissenschaftlich-exper<strong>im</strong>entellen psychologischen Forschung) beherrscht und durch<br />

die neuen technischen Medien (anstelle von Buchdruck und Handschrift) gespei-<br />

chert werden – in dem also „Schriftsteller und Analytiker“ die „Dichter und Denker“<br />

von 1800 abgelöst haben 23 . Auch das neuere Buch Kittlers thematisiert (z.T. <strong>im</strong> glei-<br />

chen Wortlaut) diese dreifache „Technisierung von Information“ (durch Phonograph<br />

bzw. Grammophon, Kinematograph und Schreibmaschine) und die „Ästhetik des<br />

Schreckens“, mit der das alte <strong>Medium</strong> „Buchpapier“ zwischen 1880 und 1920 darauf<br />

reagiert habe 24 .<br />

Während Kittler – die Aufnahmeplatten mehr oder weniger ignorierend – für die<br />

30er Jahre (vor <strong>Ein</strong>führung des Tonbands) eine speichertechnische Lücke behaup-<br />

tet oder „Spezialphonographen“ findet 25 , liefert <strong>im</strong>merhin ein neueres „Reallexikon“<br />

21 Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle, Understanding Media, Dresden/Basel 1995 (erstm.:<br />

New York 1964), S.15/17/418f.<br />

22 Friedrich Kittler: Das Rad, der Hebel, das Buch; <strong>Ein</strong> Filmfaust-Gespräch mit Friedrich Kittler von<br />

Bion Steinborn und Christine von Eichel-Streiber, S.22f (in: Filmfaust 73/1989). – Dort auch die<br />

These, die modernen Medien seien den „physiologischen Handicaps ihrer Erfinder“ entsprungen:<br />

denn die Bildfrequenz des Kinos überschreite die menschliche <strong>Ein</strong>zelbild-Wahrnehmungsschwelle<br />

(die aber biologisch nicht unbedingt als Handicap zu verstehen ist, durch das Kino auch nicht<br />

„erweitert“ wird), bzw. <strong>im</strong> „buchstäblichen“ Sinn: Edison habe „an halber Taubheit“ gelitten, die<br />

ersten Schreibmaschinen seien „von Blinden und für Blinde“ gewesen (Kittler: Das Rad, S.23/25<br />

und ders.: Grammophon, Film, Typewriter; Berlin 1986, S.38f).<br />

23 Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900, München 1987, S.211/318. - „Aufschreibesystem“<br />

soll „das Netzwerk von Techniken und Institutionen bezeichnen, die einer gegebenen<br />

Kultur die Entnahme, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben“ (z.B. um 1800<br />

Buchdruck, Literatur und Universität); ebd. S.429.<br />

24 Kittler: Grammophon, S.4.<br />

25 Kittler: Grammophon, S.162f.

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