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Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940 ...

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3. 1. „PRIVATE“ AUFNAHMEN<br />

44<br />

Die folgenden vier Tondokumente wurden, wie schon angedeutet, alle in einem insti-<br />

tutionellen Umfeld aufgezeichnet, in Rundfunk- oder Propaganda-<strong>Ein</strong>richtungen<br />

bzw. <strong>im</strong> Wehrmachtslazarett (und sind deshalb, verglichen mit der Rezeptionssitua-<br />

tion am häuslichen Grammophon, nur bedingt privat zu nennen).<br />

<strong>Ein</strong>e (insgesamt zwei Minuten lange) Aufzeichnung entstand um 1941 in einem<br />

„Senderaum“ (also <strong>im</strong> Rundfunkhaus) in Krakau, damals Regierungssitz des Gene-<br />

ralgouvernements. Der polnische Staat war nach dem Überfall der Wehrmacht <strong>im</strong><br />

September 1939 zerschlagen und zwischen Deutschland und der UdSSR aufgeteilt<br />

worden. Während Hitler Danzig, Westpreußen und Wartheland in das Reich einglie-<br />

derte, setzte er für die zentralpolnischen Gebiete (Warschau, Krakau, Radom, Lub-<br />

lin) einen Generalgouverneur zum Aufbau einer deutschen Zivilverwaltung ein (wo-<br />

bei jedoch Gerichtsbarkeit und Exekutive weitgehend den Höheren SS- und Polizei-<br />

führern H<strong>im</strong>mlers unterstanden). Das Generalgouvernement war industrielles und<br />

landwirtschaftliches Ausbeutungsobjekt, Rekrutierungsgebiet für Zwangsarbeiter (für<br />

das Reich) und praktisches Exerzierfeld der NS-Rassenpolitik, die in den Polen<br />

„Untermenschen“ sah: Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen wurden zerstört, An-<br />

gehörige von Intelligenz und Klerus (sowie Juden generell) ermordet oder deportiert,<br />

um ein „führerloses Arbeitsvolk“ zu schaffen 156 .<br />

Tonquelle 2: (ohne Namen; DRA-Nr. 90 U 5176/4).<br />

<br />

„Chérie! Liebling! Hörst Du mich? Ich spreche jetzt zu Dir. Ich rufe Dich aus dem Senderaum<br />

in Krakau. Nette Arbeitskameraden hier in Krakau haben mir Gelegenheit ge-<br />

5 geben, Dich anzurufen und zu Dir zu sprechen, Chérielein. Ich bespreche jetzt eine<br />

Platte, die bringe ich Dir dann mit. Es ist heute Sonnabend abend, und ich denke, Du<br />

sitzt gemütlich in Deiner Ecke und denkst auch an mich, Chérielein. Ich fahre am Sonn/<br />

am Montag abend hier weg und hoffe, daß ich am Dienstag früh gesund und munter<br />

bei Dir bin, Chérielein. Langweile Dich mal nicht, ich bin ja doch bald wieder bei Dir,<br />

10 und grüße Dich recht herzlich aus Krakau, Chérielein. Auf Wiedersehen.“<br />

<br />

Auf inhaltlicher Ebene erscheint diese Botschaft paradox. Der Sprecher kündigt sei-<br />

ne Rückkehr für die folgende Woche an (Z.7ff); er will die Platte jedoch gar nicht ab-<br />

schicken, sondern persönlich überbringen (Z.6). Das macht die Nachricht eigentlich<br />

überflüssig und sinnlos. Insofern wird <strong>Phonopost</strong> in diesem ersten Tondokument nur<br />

156 Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S.483ff/641ff.

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