Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940 ...
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3. 2. MITSCHNITTE AUS LAZARETT-VERANSTALTUNGEN<br />
50<br />
Vier der untersuchten Tonquellen wurden in Wehrmachtslazaretten aufgezeichnet.<br />
Während eine von ihnen den „privaten“ Aufnahmen zuzurechnen ist, kann man den<br />
übrigen entnehmen, daß sie <strong>im</strong> Rahmen eigens dafür organisierter Veranstaltungen<br />
entstanden sind.<br />
Das älteste dieser Tondokumente (Länge 3 Minuten) wurde am 17.10.<strong>1940</strong> <strong>im</strong><br />
Standort-Lazarett Stuttgart aufgenommen. Zu dieser Zeit, <strong>im</strong> zweiten Kriegsjahr, ver-<br />
suchte die deutsche Luftwaffe vergeblich, die „Luftschlacht um England“ für sich zu<br />
entscheiden (nach den erfolgreichen „Blitzkriegen“ der Wehrmacht u.a. gegen<br />
Polen, Belgien, die Niederlande und <strong>im</strong> Juni <strong>1940</strong> gegen Frankreich, das bis auf die<br />
„Zone libre“ der Vichy-Regierung unter deutsche Militärverwaltung kam) 165 .<br />
Tonquelle 1: Unteroffizier L. (DRA-Nr. 89 U 4976/4).<br />
„Unteroffizier L.“<br />
„Standort-Lazarett Stuttgart, den Siebzehnten Zehnten Vierzig. Ihr lieben !<br />
Onkel Rudis langen und alle <strong>Ein</strong>zelheiten erschöpfenden Brief habe ich erhalten und<br />
mich sehr gefreut. Ebenso registriere ich den Erhalt von einer Sendung -Zigaret-<br />
5 ten, die ausgezeichnet schmecken. Ich sage Euch also hiermit meinen herzlichsten<br />
Dank. Nach Ablauf weiterer vierzehn Tage geht es mir wieder recht gut, so daß ich<br />
schon die ersten Gehversuche hinter mir habe und die einhundert Meter, das ist die<br />
Distanz von meinem Nähkörbchen bis zur Toilette, in zwölf Komma acht Sekunden<br />
durchspurte. Es sollen, wie alte Krankenschwestern berichten, früher schon diverse<br />
10 Kranke bei Blähungen und ähnlichen Verdauungsstörungen Weltrekord über diese<br />
Strecke gelaufen haben. Wie ein Blitz aus heiterem H<strong>im</strong>mel, bzw. wie eine Bombe<br />
nach der Entwarnung, schlug die originelle Vermutung Onkel Rudis bei mir ein, daß ich<br />
mir hier eventuell ein Schwabenmädchen an Land ziehen würde. Aber so weit geht die<br />
Liebe selbstverständlich nicht. Ganz abgesehen davon, daß <strong>im</strong> ethisch bzw. ästheti-<br />
15 schen Sinne eine Legierung zwischen einem Vertreter der norddeutschen Tiefebene<br />
und einer südländischen Ariane aus Stuttgart durchaus als glücklich anzusehen ist, und<br />
auch vom praktisch-hauswirtschaftlichen Standpunkt eine entsprechende Annäherung,<br />
allgem/mein gesehen, trotz Vorliebe des schwäbischen Elementes für Spätzle und ähnliche<br />
artfremde kulinarische Genüsse, anzustreben ist, ... möchte ich<br />
20 doch an dieser Stelle bemerken... so möchte ich doch an dieser<br />
Stelle bemerken,daß ein ernstlicher Versuch in dieser Konkurrenz oder ähnlich von mir<br />
in Suttgart bisher noch nicht unternommen worden ist. Onkel Rudis sehr wohl zu verstehenden<br />
und schmeckleckerischen Vermutungen also, eine solche Eroberung bald in<br />
seine onkeligen Arme schließen zu wollen, muß ich daher vorerst enttäuschen. Wenn<br />
z.B. die in Stalingrad eingeschlossenen Soldaten in großer Zahl ausgesprochene Abschiedsbriefe<br />
(Ziemann: Feldpostbriefe, S.169); ein U-Boot-Fahrer erinnert sich, daß die Besatzungen<br />
<strong>im</strong> Sommer 1944 angehalten wurden, vor dem nächsten Auslaufen Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen<br />
zu hinterlegen (Musterbrief der Verwaltung: „Liebe Eltern! Wenn Ihr diese Zeilen lest,<br />
bin ich mit meinen Kameraden für Deutschland vorm Feind geblieben...“; Lothar-Günther Buchhe<strong>im</strong>:<br />
Die Festung, Hamburg 1995, S.570f).<br />
165 Zum Kriegsverlauf vgl. Gerd R. Ueberschär: Wehrmacht, S.98-107 und Thomas Bertram: <strong>Weltkrieg</strong><br />
1939-1945, S.322-329 (beide in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus).