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Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940 ...

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telten Fakten eben doch wieder „an den Rand des Annehmens, des Mutmassens,<br />

kurz – des Erfindens“ brachten 16 .Die „Jahrestage“ wollen deshalb nicht „Wirklichkeit<br />

jenseits von Kunst und romanhafter Fiktion“ repräsentieren, sondern die „Wirklich-<br />

keit einer Geschichte“ darstellen 17 , die sich zwischen zwei Zeiten und Räumen be-<br />

wegt: dem Leben der Hauptfigur in New York Ende der 60er Jahre und deren (erin-<br />

nerter) Familiengeschichte in Mecklenburg („Jerichow“) während des NS-Reg<strong>im</strong>es<br />

und des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es.<br />

Diese Beispiele für die Verwendung von <strong>Phonopost</strong> zeigen einen ersten histori-<br />

schen Zusammenhang, in den die Schallplattenbriefe des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es zu<br />

stellen sind; sie lassen auch schon die mediengeschichtlichen Fragen erkennen, de-<br />

nen diese Arbeit nachgehen möchte. Anhand von sieben Tondokumenten (ursprüng-<br />

lich schallplattenförmig gespeichert und so zu den Empfängern transportiert 18 ) sollen<br />

Gebrauch und Leistungen dieses Kommunikationsmediums innerhalb einer relativ<br />

kurzen Zeitspanne – <strong>im</strong> NS-Reg<strong>im</strong>e, während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>s – untersucht<br />

werden: Aufnahme-Schallplatten nutzten dieselbe akustische Speichertechnik wie<br />

das zeitgenössische Massenmedium 19 Schellackplatte; die aufgenommenen indivi-<br />

duellen Mitteilungen verweisen zwar noch auf das alte Speichermedium Brief, aber<br />

Oralität (Verzicht auf schriftliche Codierung) und Verlust an Int<strong>im</strong>ität (mehr oder we-<br />

niger öffentliche Aufnahmesituation) zeigen die Nähe zum Telefon und zum Massen-<br />

medium Rundfunk; so fand dieses Individualkommunikationsmedium offenbar Inter-<br />

esse bei den Nationalsozialisten, die es zu einem „Gemeinschaftsmedium“ (für die<br />

<strong>im</strong> Lazarettsaal versammelten Soldaten bzw. die Familie zu Hause am Grammo-<br />

phon) umfunktionierten.<br />

16 Uwe Johnson: Begleitumstände; zit. nach Scholl: In der Gemeinschaft, S.114.<br />

17 Scholl: In der Gemeinschaft, S.114f. – Zu weit geht allerdings Scholls These (S.147f), der ganze<br />

Roman sei als Tonbandprotokoll angelegt (erzählt von der Hauptfigur Gesine, niedergeschrieben<br />

vom Autor Johnson); vgl. Alfons Kaiser: Für die Geschichte, Medien in Uwe Johnsons Romanen,<br />

St.Ingbert 1995, S.137.<br />

18 Davon zu unterscheiden sind die (industriell vervielfältigten) „singenden und sprechenden Ansichtskarten“:<br />

für individuelle schriftliche Mitteilungen, aber mit vorgefertigtem Bild und Ton; schon<br />

1910 gab es mit Schellack beschichtete Karten, denen (wie einer Schallplatte) eine Tonspur eingepreßt<br />

war; vgl. Herbert Jüttemann: Phonographen und Grammophone, Braunschweig 1979, S.215.<br />

19 „Massenkommunikation“ <strong>im</strong> Sinne indirekter (durch ein technisches <strong>Medium</strong> vermittelter), einseitiger<br />

Kommunikation mit einem unbegrenzten, anonymen, dispersen (räumlich verstreuten)<br />

Publikum (vgl. Nanny Drechsler: Die Funktion der Musik <strong>im</strong> deutschen Rundfunk 1933-1945,<br />

Pfaffenweiler 1988, S.3).

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