Spielzeitheft THEATER BIELEFELD 2013/14 STADT LAND FLUSS
Spielzeitheft THEATER BIELEFELD 2013/14 STADT LAND FLUSS
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fauSt<br />
der tragÖdie erSter teiL<br />
johann wolfGanG Goethe<br />
–<br />
premiere 22.09.13 im Stadttheater<br />
»So Schreitet in dem enGen Bretter hauS / den Ganzen kreiS<br />
der SchöpfunG auS, / und wandelt, mit BedächtGer Schnelle, /<br />
vom himmel, durch die welt, zur hölle.«<br />
Der Universalgelehrte Doktor Heinrich Faust ist ein unruhiger Geist. Sein Leben lang hat er<br />
Studien angestellt und experimentiert, doch nichts hat ihn wirklich weitergebracht oder vermochte<br />
seinen Wissensdurst zu stillen. Er steckt in einer Sinnkrise: »Habe nun ach! Philosophie,<br />
Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! durchaus studiert mit heißem Bemühn. Da<br />
steh ich nun, ich armer Tor! und bin so klug als wie zuvor.« Er will seinem Leben ein Ende bereiten,<br />
um »auf neuer Bahn den äther zu durchdringen«, doch im letzten Moment rufen ihn die<br />
Osterglocken ins Leben zurück. Auf einem Spaziergang folgt ihm ein schwarzer Pudel, der sich<br />
als der Teufel Mephistopheles entpuppt. Der verspricht Faust, dass er ihm zu neuem Lebensglück<br />
verhelfen wird; im Gegenzug verlangt er die Seele des Doktors: »Ich will mich hier zu deinem<br />
Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; Wenn wir uns drüben wieder<br />
finden, So sollst du mir das Gleiche thun.« Faust willigt in den Pakt ein. Mit Hilfe von<br />
Mephistopheles verführt er die junge Margarete. Doch mit den Folgen seiner Wünsche und seines<br />
Handelns hat er nicht gerechnet, denn er stürzt nicht nur das Mädchen, sondern auch deren<br />
gesamte Familie und das gemeinsame uneheliche Kind in den Tod.<br />
Die mittelalterliche Legende des Doktor Faustus wurde in Johann Wolfgang Goethes Dramatisierung<br />
zum bedeutendsten und meist zitierten Werk der Weltliteratur. Goethe entfaltet<br />
darin einen ganzen Kosmos an Ideen und Weltbildern. Die Figur des Doktor Faust ist der Prototyp<br />
des modernen, maßlosen Menschen, der sich mit allen Mitteln aus der Enge der bürgerlichen<br />
Existenz zu lösen versucht.<br />
Inszenierung: Christian Schlüter / Bühne: Jochen Schmitt / Kostüme: Lena Thelen<br />
der haLS der giraffe<br />
judith SchalanSky<br />
64 65<br />
–<br />
premiere 26.09.13 im theater am alten markt<br />
»nein, dieSe kinder hier kamen ihr wirklich nicht vor<br />
wie diamanten auf der krone der evolution.<br />
entwicklunG war etwaS andereS alS wachStum. daSS qualitative<br />
und quantitative veränderunG weiteStGehend unaBhänGiG<br />
voneinander GeSchah, wurde hier erSchreckend<br />
eindrücklich demonStriert.«<br />
Inge Lohmark unterrichtet seit über drei Jahrzehnten Biologie. Daher weiß sie: Anpas-<br />
sung ist alles. Doch die Kleinstadt schrumpft, der Nachwuchs fehlt und die Schule soll in<br />
vier Jahren geschlossen werden. Die letzten Jahrgänge sitzen mit leeren Augen vor ihrer<br />
Lehrerin. Schüler? Für Inge Lohmark sind sie ein Irrtum der Evolution. Sie ist streng und<br />
Gefühlsduselei ist ihr fremd – »Survival of the fittest« ist das Einzige, was zählt. Das opti-<br />
mistische Vertrauen der jungen Kollegen in Bildung zaubert ihr höchstens noch ein müdes<br />
Lächeln ins Gesicht. Zu DDR-Zeiten war ihr Mann verantwortlich für die Besamung von<br />
Kühen, heute hat er eine Straußenfarm und verbringt seine gesamte Zeit mit den riesigen<br />
Vögeln. Die gemeinsame Tochter Claudia ist vor Jahren in die USA ausgewandert, der Kontakt<br />
nur noch sporadisch.<br />
Es gibt nichts und niemanden mehr, der Inge Lohmarks starres Weltbild ins Wanken bringen<br />
kann. Bis sie auf die Neuntklässlerin Erika trifft: »Erika. Das Heidekraut. Gepflegte Traurigkeit in<br />
geneigter Haltung. Sommersprossen auf milchiger Haut. Verrutschtes Auge. Fester, schiefer<br />
Blick. Müde und gleichzeitig wach.« Unter gar keinen Umständen sollte das Mädchen anders<br />
behandelt werden als die anderen hoffnungslosen Gestalten ohne Verstand und Zukunft. Und<br />
doch geht es nicht anders. Sie mag Erika! Vielleicht sogar ein wenig zu sehr …<br />
Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe trägt den ironischen Untertitel Bildungsroman. Es<br />
ist der innere Monolog einer schrulligen, engstirnigen und dennoch anrührenden Frau. Ein<br />
antidarwinistisches Manifest.<br />
Inszenierung: Ronny Jakubaschk / Bühne und Kostüme: Anna Sörensen