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ZGR Nr. 29-30; 31-32/2006-2007 Partea I - Universitatea din ...

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Erika Hammer<br />

einen unheimlich und dadurch fremd. Demontiert werden Hand in Hand damit<br />

auch die kulturellen Trugbilder der Identität, die den Begriff der Heimat unterstützen.<br />

Der Text von Tawada Die HalluziNation beginnt mit einer Initiation, im Übergang<br />

in das Innere eines Flugzeuges durch einen Schlauch wird eine Art Geburt inszeniert,<br />

der Ort aber, an der die Ich-Figur ankommt, ist kein fester, sondern ein<br />

beweglicher, das Flugzeug nämlich. Das Bild des Flugzeuges ist auch deswegen signifikant,<br />

weil es vom Boden abhebt und in der Luft „zu Hause“ ist. Richtige Heimaten<br />

– als Orte der Herkunft – zeichnen sich jedoch als Territorien durch ihre Festigkeit,<br />

(Orts)Gebundenheit, Bodenständigkeit aus. All dies wird mit der Metaphorik des<br />

Angestammten, Verwurzelten, Urwüchsigen assoziiert, was antonymisch zu der Bewegung,<br />

zu dem Ausländischen und Fremden verstanden wird. Für den Ich-Erzähler<br />

bietet paradoxer Weise gerade das bewegliche Flugzeug, ein Dazwischen im Bodenlosen<br />

und dazu noch der akzentuierte Hinweis auf die zufällig entstandene, nur vorübergehend<br />

als Einheit funktionierende Gemeinschaft der Passagiere, eine Sicherheit,<br />

Geborgenheit, eine Art Heimat also. Auch hier bekommt die Tür eine maßgebliche<br />

Rolle, denn im Flugzeug, das hier als Modell steht dafür, wie Gemeinschaften<br />

entstehen, und welche Denkweisen unser Bewusstsein prägen, ist es eine Notwendigkeit,<br />

dass die Tür geschlossen ist. Sie wird erst bei Gefahr geöffnet, dient<br />

nicht dazu, jemanden hereinzulassen, sondern im Gegenteil, um zu fliehen, wenn es<br />

sein muss. Außerhalb der Tür ist eine „beängstigende, ausländische Welt: der freie<br />

Himmel“ (H 172) 14 . Das, was sich außerhalb der Tür befindet, das schreckliche terra<br />

incognita wird in dieser Formulierung jedoch auch mit Freiheit assoziiert. Das Paradoxon<br />

der Tür wird prägnant, denn es wird gezeigt, dass das, was man im Allgemeinen<br />

für fremd und deshalb für feindlich hält, aus einer anderen Perspektive<br />

auch mit Freiheit, also mit etwas Positivem gekoppelt werden kann. 15 Die Geschlossenheit,<br />

die einem Schutz und Sicherheit verspricht, ist jedoch auch beengend,<br />

– nach Bekenntnissen des Erzählers – schlimmer als ein „Gefängnis“ (H 175).<br />

Bereits dieses Moment bringt unsere naiven Auffassungen über Sicherheit und den<br />

Glauben über Schutz zum Kippen, was dann im Laufe der Erzählung noch mehrfach<br />

auf die Spitze getrieben wird. Freiheit und Gefängnis sind die beiden extremen Pole,<br />

die die Konnotationen zu dem Eigenen und dem Fremden heraufbeschwören, sie<br />

14 Zitate werden aus den Primärtexten im laufenden Text in Klammer direkt dem Zitat folgend mit einer<br />

Sigle angegeben.<br />

15 Auch Simmel koppelt Fremdheit mit Freiheit, und weist darauf hin, dass der Fremde gerade wegen<br />

seiner Beweglichkeit perspektivische Vorteile hat, vielmehr eine objektive Sicht besitzt, da er nicht in<br />

einem normativen Schema verhaftet ist. (Simmel, 1995, 766)<br />

44<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>29</strong>-<strong>30</strong>) / <strong>2006</strong>, 1-2 (<strong>31</strong>-<strong>32</strong>) / <strong>2007</strong>

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