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Ein klerikales Blatt schreibt über <strong>de</strong>n »Pfarrer von Kirchfeld 1 «:<br />
Diese in sich unwahre Ten<strong>de</strong>nzkomödie einer <strong>de</strong>nn doch schon<br />
überwun<strong>de</strong>nen kulturkämpferischen Zeit wird uns je<strong>de</strong>s Jahr ein—<br />
und zweimal aufgetischt, weil ein paar »gute Rollen« darin sind,<br />
die ein halbwegs geschulter Schauspieler mit Erfolg »hinlegt«.<br />
Man kann einem Kritiker nicht zumuten, immer wie<strong>de</strong>r diese hohlen<br />
Phrasen zu schlucken und von einer auf ihren guten Ruf etwas<br />
halten<strong>de</strong>n Direktion muß man verlangen, daß sie diesen Ten<strong>de</strong>nzpfarrer<br />
endlich einmal einsargt. Will sie auch Volksstücke in ihren<br />
Spielplan aufnehmen, so nehme sie die wirklichen Volksstücke Anzengrubers,<br />
es fehlt ja auch manchem dieser nicht an feindseliger<br />
Ten<strong>de</strong>nz; aber sie sind doch nicht gar so verlogen und abgedroschen<br />
wie <strong>de</strong>r unglückselige Pfarrer mit seinen Trotteln um sich<br />
herum. Wir wer<strong>de</strong>n in Zukunft von diesem Ten<strong>de</strong>nzmachwerk<br />
nicht mehr Notiz nehmen.<br />
Ein sozial<strong>de</strong>mokratisches Blatt sagt dazu:<br />
So etwas wird in sozusagen <strong>de</strong>utscher Sprache geschrieben und<br />
gedruckt! Man muß für die Verbreitung dieser frechen Albernheiten<br />
sorgen. Vielleicht gelüstet es die Herren wie<strong>de</strong>r einmal, von<br />
Ehrfurcht vor <strong>de</strong>m Kunstwerk, von <strong>de</strong>utscher Kunst und von <strong>de</strong>r<br />
Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s Volksstückes zu schwatzen.<br />
Welches von bei<strong>de</strong>n schützt die Kunst gegen die Politik und welches opfert<br />
die Kunst <strong>de</strong>r Politik? Das klerikale mag um seine Ten<strong>de</strong>nz mehr besorgt<br />
sein als um die Kunst. Jene aber <strong>de</strong>ckt sich zufällig mit <strong>de</strong>r »Ehrfurcht vor<br />
<strong>de</strong>m Kunstwerk«; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r »Pfarrer von Kirchfeld« ist keines. Und je<strong>de</strong> Kritik,<br />
die die Überschätzung Anzengrubers abzutragen beginnt, ist verdienstlich.<br />
Das mag <strong>de</strong>n Bettelheim kränken, es ist aber hoch an <strong>de</strong>r Zeit, daß die durch<br />
die literaturhistorischen Myopse bewirkte Verschiebung <strong>de</strong>r literarischen<br />
Größenverhältnisse repariert wird und die Giganten Raimund und Nestroy<br />
wie<strong>de</strong>r vor alles gestellt wer<strong>de</strong>n, was keinen an<strong>de</strong>rn Vorzug hat, als »heimatlich«<br />
zu sein; <strong>de</strong>nn sie haben auch vor allem zu stehen, was in <strong>de</strong>r nachklassischen<br />
Perio<strong>de</strong> nicht heimatlich ist. Die österreichische Literatur wäre eine<br />
Bettelheimstätte, wenn wirklich in Anzengruber und <strong>de</strong>r ihm nachgeratenen<br />
dialektisch gewan<strong>de</strong>ten Mittelmäßigkeit ihr Reichtum beschlossen wäre.<br />
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Ehe die Fackel fünfzehn Jahre alt wur<strong>de</strong>, hat die Neue Freie Presse die<br />
folgen<strong>de</strong> Stelle aus einem Brief zitiert:<br />
... Aber, wahrhaftig, ihr müßt uns entschuldigen, <strong>de</strong>nn uns bei<strong>de</strong><br />
hat in letzterer Zeit Arbeit, und mich extra noch Sorge und Zorn<br />
erdrückt. Der Drucker ... hat alle Gel<strong>de</strong>r eingezogen und mir —<br />
keinen Groschen zukommen, mich alle Honorare auslegen lassen.<br />
Drei Klagen schweben von mir gegen ihn. Um das Maß voll zu machen,<br />
versucht er jetzt, nach<strong>de</strong>m ich mich begreiflich von ihm getrennt,<br />
mein Blatt fortzusetzen, auf meine Abonnenten, die er in<br />
Hän<strong>de</strong>n hat, spekulierend! ...<br />
1 Ein Volksstück von Ludwig Anzengruber<br />
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