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für Nestroy gerettet hat, was zu retten war, ist ein Verdienst, das man ihm<br />
verübeln darf. Unter Dilettanten sind in diesem Fall Berufsschauspieler zu<br />
verstehen, die einer schnö<strong>de</strong>n Pikanterie zuliebe das Gebiet ihrer Fertigkeit<br />
verlassen, zum Beispiel eine Schauspielerin, die ihre binnen einer Saison berühmt<br />
gewor<strong>de</strong>ne Bühnenstrenge nunmehr in Wiener Lokalhumor ausjo<strong>de</strong>ln<br />
lassen möchte. Spekulanten sind die Unternehmer, die sich von solchen ö<strong>de</strong>n<br />
Fachscherzen einen Profit versprechen und gar die Stirn haben, Nestroy für<br />
ein Bierkabarett anzuzapfen. »Alkoholiker« ist nicht <strong>de</strong>r Vorwurf einer Privatangelegenheit,<br />
son<strong>de</strong>rn die loben<strong>de</strong> Erwähnung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s Herrn Frie<strong>de</strong>n,<br />
in <strong>de</strong>ssen Schriften von nichts häufiger die Re<strong>de</strong> ist als daß er sich stets<br />
für einen braven Mann hält. Ferner ist es die Entschuldigung einer in Besinnungslosigkeit<br />
verübten Handlung, die mit <strong>de</strong>m bezeichneten Zustand auch<br />
noch gemeinsam hat, daß sie sich allabendlich wie<strong>de</strong>rholt. Die dumme I<strong>de</strong>e,<br />
<strong>de</strong>n alten Theaterspaß <strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>m Publikum auf die Bühne rufen<strong>de</strong>n Schauspielers<br />
zu <strong>de</strong>m offensichtlichen Zwecke aufzuwärmen, daß <strong>de</strong>r Tischhumorist<br />
Frie<strong>de</strong>ll, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Shaw für einen Dichter hält, seine Überlegenheit über Nestroy<br />
beweisen könne, kann nur einer alkoholisierten Laune entsprungen sein.<br />
Jene Spielart, die sich selbst je<strong>de</strong>r Unsauberkeit, <strong>de</strong>ren sie fähig ist, für fähig<br />
erklärt, damit man sie ihr nicht zutraue, und die mit dieser Raison noch öffentlich<br />
kokettiert, damit man sie ihr erst recht nicht zutraue, jenes eklige Antiphilistertum,<br />
das aus einer heute schon je<strong>de</strong>m Hausmeister geläufigen Antipathie<br />
gegen <strong>de</strong>n »Ernst <strong>de</strong>s Lebens« Homer Maikäfer ins Bett legt, weil er<br />
zuweilen schläft, und Beethoven anulkt, weil er schwerhörig ist, jenes Talent,<br />
bei einer Dichter—Ehrung <strong>de</strong>n Dichter zu verhöhnen und an <strong>de</strong>m Bankett teilzunehmen,<br />
weil es da Getränke gibt und eine Gelegenheit, sich bemerkbar zu<br />
machen, all dies hat eben bestenfalls die Entschuldigung, daß <strong>de</strong>r Dunst, <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit vorgemacht wird, alkoholischen Ursprungs ist. Dennoch ist<br />
er mit <strong>de</strong>r Gemütlichkeit <strong>de</strong>s dargestellten Nestroy—Typus keineswegs blutsverwandt<br />
und es ist eine ganz abenteuerliche Bieri<strong>de</strong>e, Herrn Frie<strong>de</strong>ll sein Talent<br />
bei Nestroy ausschlafen zu lassen. Der Kritiker Salten ist freilich <strong>de</strong>r Ansicht,<br />
daß Herr Frie<strong>de</strong>ll, »einer <strong>de</strong>r kultiviertesten und dabei einer <strong>de</strong>r fröhlichsten<br />
Köpfe, die wir haben«, ein beklagenswertes Opfer dieser I<strong>de</strong>e sei,<br />
beileibe nicht ihr williger Helfer. Ein Opfer, <strong>de</strong>m nur das Opfer Nestroys vielleicht<br />
noch an die Seite zu stellen ist. Er »hätte mit seiner breiten, natürlichen<br />
Gelassenheit bezwingend wirken können. Er kam nicht dazu.« Vorbei, vorbei.<br />
Ein echt österreichisches Schicksal. Eine unterdrückte Persönlichkeit, die auf<br />
<strong>de</strong>r Bühne keinen Spielraum bekam und gezwungen wur<strong>de</strong>, von <strong>de</strong>r Loge auf<br />
die Bühne zu brüllen. »Nur über <strong>de</strong>n Humor, mit <strong>de</strong>m er solch einen Scherz<br />
einmal mitmacht, konnte man gelegentlich lachen.« Er ist ja kein Spielver<strong>de</strong>rber.<br />
Er, <strong>de</strong>r geborene Nestroy—Spieler, dul<strong>de</strong>te mit einem nassen, einem heitern<br />
Auge, daß man, wie sogar die Wiener Presse einmütig und in naheliegen<strong>de</strong>r<br />
Erkenntnis zugegeben hat, sich mit Nestroy einen Jux machte. Es war<br />
aber weniger und mehr als ein Jux. Der ganze Plan dieses Attentats scheint<br />
<strong>de</strong>r Rache einer neu<strong>de</strong>utschen, literaturgenährten, in verzweifelten Reformereien<br />
sich abquälen<strong>de</strong>n Theaterfremdheit entsprungen zu sein, die sich an<br />
<strong>de</strong>m Inventar <strong>de</strong>s Altwiener Humors rächt und Blumenstege errichtet, wo ihr<br />
kein Gras mehr wächst. Da es aber doch noch Leute im Publikum gibt, die an<br />
solchem spekulativen Chaos, das Schauspieler und Publikum in intimen Verkehr<br />
bringt, mitwirken wollen, so hat ein Zeuge <strong>de</strong>r Schändlichkeit, <strong>de</strong>r unvorsichtigerweise<br />
ohne Freikarte hineingelassen wor<strong>de</strong>n war, auch etwas auf<br />
die Bühne gerufen. Der für Nestroy eintrat, war ein Budapester. Die Wiener<br />
hielten ihn für einen Mitwirken<strong>de</strong>n und die Affäre lief glatt ab. Der Skandal<br />
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