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ich mich auf sie verlassen. Ich habe zehntausend Briefe von Christussen, die<br />
mich als Gottvater anrufen, und zehntausend von Kommis, die mich leugnen,<br />
weil mich zu verehren auf die Dauer nicht <strong>de</strong>n Lohn <strong>de</strong>r Welt bringt noch meinen<br />
Dank. Manche sind wenigstens so anständig, sich anonym von mir abzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Erst später treten sie in Druckschriften hervor. Der Grund von all<br />
<strong>de</strong>m: Ich konnte all die nicht befriedigen. Ich bin ein Mann — das könnt ihr<br />
schon an ihrer Leier riechen. Durch <strong>de</strong>r Parteien Haß und Gunst verwirrt, die<br />
sich in einer und <strong>de</strong>rselben Partei abspielen, schwankt mein Charakterbild in<br />
<strong>de</strong>r Geschichte. Die Ansichten über mich sind in je<strong>de</strong>m einzelnen geteilt. So<br />
sehe ich vor und nach <strong>de</strong>m Gebrauch aus, zumal wenn ich ihn unterlassen<br />
habe. Die mich liebten, hassen mich nun auf meine Art; die in meiner Entwicklung<br />
zurückgeblieben sind, rächen sich dafür; und die Schlieferln meiner<br />
Gedankengänge fin<strong>de</strong>n diese unwohnlich. Mein Ich wird mir unerträglich,<br />
weil es noch von jenen getragen wird, die es unerträglich fin<strong>de</strong>n. Wann wer<strong>de</strong>n<br />
diese Herrschaften die von Herrschaften noch nicht abgelegten Klei<strong>de</strong>r<br />
ablegen? Sie haben es leicht, sie haben die Psychoanalyse. Hilft ihnen meine<br />
Sprache nicht gegen mich, so sagen sie, daß bei mir alles auf »Inzest« beruht.<br />
Dagegen läßt sich nicht aufkommen. Von seinem Unbewußten weiß <strong>de</strong>r<br />
Mensch nichts, immer nur <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, mit <strong>de</strong>m wir nicht verkehrt haben. Hier<br />
lassen sich Behauptungen aufstellen, während man im Reich <strong>de</strong>r Realität nur<br />
auf Vermutungen angewiesen ist, und wenn mir einer nachsagt, ich hätte <strong>de</strong>n<br />
Har<strong>de</strong>n damit zu »erledigen« geglaubt, daß ich »seinen Freund Bierbaum«<br />
heruntermachte, so läßt sich nur sagen, daß man zwar das Gegenteil beweisen,<br />
aber nicht sicher behaupten kann. Denn nichts ist verschiebbarer als die<br />
Tatsachenwelt, und die Imagination, die Druckerschwärze hat, kennt keine<br />
Grenzen. Zur Not aber, wenn selbst die Psychoanalyse versagen sollte, hilft<br />
<strong>de</strong>m Patienten die Technik. Vor solchem frischen Burschen, <strong>de</strong>r wie eine Brise<br />
durch die Literatur weht und dir ein Leck in <strong>de</strong>n Bauch re<strong>de</strong>t, bin ich nur ein<br />
bresthafter Schreibtischmensch, <strong>de</strong>r zur Not ein paar Jahrzehnte fünfzehnstündiger<br />
Arbeit mitmachen konnte. Die Pathologie ist gesün<strong>de</strong>r als ich. Seltsamer<br />
Reichtum <strong>de</strong>r Formen! Einer ist so frisch, daß er statt zur Marine zur<br />
Zeitung gekommen ist, und ich weiß doch wie<strong>de</strong>r, daß diese Lebendigkeit nur<br />
die Unruhe ist, die ich auf <strong>de</strong>m Gewissen habe. Kann ich dafür, daß ich dafür<br />
kann? Es gibt harte unter ihnen und weiche, mit und ohne Weltanschauung,<br />
blon<strong>de</strong> und schwarze, dicke und dünne. Ich bin nicht vielseitig. In meinem Archiv<br />
brüllt unbefriedigte Knabenhysterie mit zwanzigtausend Stimmen. Das<br />
Geheimnis <strong>de</strong>r Zeit liegt in meinen Papieren. Es wird einmal, wenn meine Erben<br />
es aufbrechen, ein Grundbuch <strong>de</strong>r Pathologie geben: wie man um 1910<br />
jung war. Die Herren Eltern o<strong>de</strong>r Vormün<strong>de</strong>r hatten versäumt, dieser Brut<br />
rechtzeitig das Geschlecht austauschen zu lassen, und ich sollte das Opfer<br />
sein! Kann ich dafür, daß ich in <strong>de</strong>r Quallenperio<strong>de</strong> 1 zur Welt gekommen bin?<br />
Gegen einen kurzen Liebesrausch, <strong>de</strong>r sich heute in Druckerschwärze austobt,<br />
habe ich ja nichts einzuwen<strong>de</strong>n. Da ich nicht Machtpolitik treibe, kann<br />
ich <strong>de</strong>n Zustand, in <strong>de</strong>m geschmachtet wird, nicht benützen. Da ich aber Nerven<br />
habe, die von einem Gewinn an Erkenntnissen nicht profitieren, so kann<br />
ich <strong>de</strong>n Zustand, in <strong>de</strong>m abwechselnd geschmachtet und gehaßt wird, erst<br />
recht nicht brauchen. Ich habe ja eine dicke Haut, aber <strong>de</strong>r geduldigste und<br />
einsichtigste Irrenwärter, <strong>de</strong>r hun<strong>de</strong>rtmal weiß, daß <strong>de</strong>r Patient es nicht so<br />
meint, läßt sich einmal hinreißen. Diese unaufhörliche Gegenliebe, wenn man<br />
selbst nicht liebt, ist martervoll, und gegen die Ansprüche <strong>de</strong>r Liebestollheit,<br />
1 Damit kann gar nicht die angestrebte (Dezember 2013) rot—grüne Zukunftsregierung gemeint<br />
sein!<br />
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