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nem roten Blättchen »Die Fackel«<br />
die Kultursün<strong>de</strong>n unserer Gegenwart<br />
zerzaust. Aber es ist <strong>de</strong>r gewaltige<br />
Unterschied zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />
Kritikern, daß Karl Kraus wütend<br />
kläfft, während Schaukal mit<br />
vornehmer Geste und ein wenig lässig<br />
abschiebt, was ihm nicht gefallen<br />
will. Karl Kraus ereifert sich, Richard<br />
Schaukal lächelt über Unfähigkeiten<br />
und Unfug. Karl Kraus ist<br />
ein proletarischer, Schaukal ein aristokratischer<br />
Kritiker, Kraus hat ein<br />
von Ehrgeiz und Größenwahn zersetztes<br />
Ich, Schaukal — vielleicht<br />
nach Überwindung ähnlicher Anfechtungen<br />
— eine in Resignation<br />
gesammelte Persönlichkeit. In Kraus<br />
hat sich die österreichische Nationaleigenschaft<br />
<strong>de</strong>r »Raunzerei«zu<br />
wüstem Toben vergröbert, in Schaukal<br />
hat sie sich sublimiert.<br />
allgemeiner öffentlicher Feigheit<br />
und wechselseitiger Ansehensversicherung<br />
zu vermissen, dazu bedarf<br />
es nicht <strong>de</strong>r bengalischen Beleuchtung<br />
eines am Tage liegen<strong>de</strong>n Beispiels.<br />
Nur um nicht <strong>de</strong>n Anschein<br />
zu erwecken, als wiche ich, <strong>de</strong>r auch<br />
sonst wahrlich nicht Eingeschüchterte,<br />
<strong>de</strong>r Gelegenheit aus, mich<br />
über einen selbstverständlich Mißliebigen<br />
zu äußern, folge ich Ihrer<br />
Einladung und sage, was je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<br />
mich kennt, weiß und mancher<br />
schon von mir gehört hat, daß ich<br />
Karl Kraus, <strong>de</strong>ssen literarische Erscheinung<br />
zu würdigen, mich längst<br />
lockt, für einen <strong>de</strong>r wenigen <strong>de</strong>utschen<br />
Schriftsteller halte, die von<br />
dieser viel und ungemein schlecht<br />
schreiben<strong>de</strong>n Übergangsepoche unseres<br />
Schrifttums geschichtlich dauern<br />
wer<strong>de</strong>n; daß ich selbst ihn seit<br />
jeher mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>nkbar größten Vergnügen<br />
an seiner zugleich starken<br />
und feinen Eigenart lese, seine Einsicht<br />
und seinen Ausdruck oft bewun<strong>de</strong>re,<br />
zumal die Kraft und Kunst,<br />
wie er das kleinliche tägliche Erleben<br />
zu monumentalen Eindrücken<br />
zu steigern weiß, als eine publizistische<br />
Tat allerersten Ranges schätze.<br />
Besagter Turmhahn bringt dafür Zuschriften an <strong>de</strong>n bekannten Nietzsche—Gegner<br />
Otto Ernst zum Abdruck:<br />
Einer unser hervorragendsten Goetheforscher schreibt: »Ihr hohes<br />
Können im philosophischen Gefecht hat mich doch noch überrascht.<br />
Nie fin<strong>de</strong>t das Talent größere Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Mitmenschen<br />
als dann, wenn man schon auf an<strong>de</strong>rem Gebiet eingeordnet<br />
und anerkannt ist. Es ist eine Art Verbrechen, daß Sie aus<br />
ihrer Schubla<strong>de</strong> 'Dichter—Humorist' heraushüpfen wollen und<br />
mehrere Etiketten für sich beanspruchen. Sie wissen, wie es Goethen<br />
dabei gegangen ist. Man hat Sie früh und oft mit Lessing verglichen.<br />
Sie erinnern, trotz aller Echt— und Eigenheit, merkwürdig<br />
oft an ihn. 'Ein Mann wie Lessing täte uns not,' sagte Goethe;<br />
an diesem Worte können Sie sich trösten, wenn Sie bemerken,<br />
daß mancher liebe Zeitgenosse Sie unbequem fin<strong>de</strong>t. Das will ich<br />
noch sagen, daß ich auf <strong>de</strong>n 135 Seiten tausend kostbare Sätze<br />
bewun<strong>de</strong>rt habe, die für sich existieren könnten. Man könnte aus<br />
ihren Schriften ein ebensolches philosophisches Lexikon zusam-<br />
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