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Machen Medien Schule? 4/06 - Bildungsdirektion - Kanton Zürich

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dann in Klasse fünf ist, kann bekanntlich in Klasse vier nicht<br />

mehr sitzen bleiben. Das ist eine wunderbare Geschichte. Eine<br />

andere: Ein Kind kann nicht Englisch lernen. Es kriegt die englischen<br />

Vokabeln schlicht nicht in sich rein, kein Mensch weiss,<br />

woran es liegt. Das war auch – wie im ersten Beispiel – eine<br />

freie <strong>Schule</strong>. Daraufhin sagen die Lehrer: «Vergiss es. Immer<br />

wenn du etwas schreibst, schreibe ein bisschen Englisch, lerne<br />

ein bisschen Vokabeln. Damit wir sehen, du bemühst dich und<br />

dann bekommst du immer eine vier. Denn weil du es nicht<br />

kannst, brechen wir dir deswegen nicht das Genick.» Jetzt hat<br />

das Kind inzwischen längst seinen Realschulabschluss gemacht<br />

– in völliger Unkenntnis des Englischen. Dieses Kind<br />

kommt doch nie auf die Idee, im benachbarten Industriestandort<br />

bei Liebherr eine kaufmännische Lehre anzufangen mit<br />

dem Schwerpunkt‚ «Fremdsprachen anglophoner Bereich».<br />

Das heisst, im geistigen Gesamthaushalt der deutschen Nation<br />

findet überhaupt kein Flurschaden statt, wenn man einem<br />

solchen jungen Menschen Mut macht: «Mach das, was du gut<br />

kannst, und mit dem, was du nicht kannst, quälen wir dich<br />

nicht und wir halten uns nicht damit auf.»<br />

Könnten denn hier nicht auch Bildungsstandards weiterhelfen?<br />

Solange wir im Kopf den Schalter nicht umlegen von einer Pädagogik<br />

der Selektion und der Entmutigung auf eine Pädagogik<br />

der Förderung und der Ermutigung – nämlich das zu machen,<br />

was man gut kann und dort dann seine eigenen Anschlüsse zu<br />

finden – bleiben wir bei dieser Bildungsstandarddebatte hän-<br />

Leserbriefe<br />

Ausgabe 3/20<strong>06</strong>:<br />

Gebt den Lehrerinnen und Lehrern<br />

einen BMW (und lasst sie unterrichten)<br />

Annäherung des britischen und schweizerischen<br />

Schulsystems<br />

1991 hatte die Schweiz erstmals an einem<br />

internationalen Test in Mathematik<br />

und Naturwissenschaften teilgenommen<br />

und dabei als Beste abgeschnitten.<br />

Das bewog das National Institute<br />

of Economic and Social Research<br />

in den Jahren 1995 und 1996 Vergleichsstudien<br />

zwischen dem britischen und<br />

dem Schweizer Schulsystem durchzu-<br />

führen. Die britischen Forscher stellten<br />

fest, dass folgende Hauptunterschiede<br />

zum überragenden Erfolg der Schweizer<br />

beitrugen: Die Schweizer Lehrer<br />

verbrachten einen viel grösseren Teil<br />

der Unterrichtszeit damit, die Schüler<br />

anzuleiten. Wobei sie die bewährte Methode<br />

des Ganzklassenunterrichts anwandten.<br />

Während sie versuchten, die<br />

Individualität jedes Kindes zu berücksichtigen,<br />

waren sie gleichzeitig sehr<br />

bemüht, die ganze Klasse gemeinsam<br />

im Lernstoff vorwärts zu bringen. Die<br />

Forscher fanden jedoch in der schweizerischen<br />

Adaption des Comprehensive<br />

Schooling (damalige AVO-Versuchsschulen)<br />

erste Auflösungserscheinungen<br />

der Schweizer Schulqualität. Sie<br />

machten folgende drei Hauptursachen<br />

dafür verantwortlich: Die AVO-Schüler<br />

hatten ein Drittel weniger Hausaufgaben,<br />

der Schulunterricht wurde öfters<br />

durch soziale Projekte unterbrochen<br />

und die Motivation der AVO-Schüler<br />

lag, weil jede Klasse mehrere Lehrer<br />

hatte, tiefer als in den normalen<br />

Schweizer <strong>Schule</strong>n. Wie die PISA-Stu-<br />

Fokus<br />

Volksschule<br />

Mittelschule<br />

Berufsschule<br />

Weiterbildung<br />

Agenda<br />

Service<br />

Podium<br />

Portrait<br />

gen. Und Bildungsstandards sind entweder nichts anderes als<br />

verkappte Leistungsstandards oder, wenn es echte Bildungsstandards<br />

sind, beziehen sich auf Einstellungen, Verhaltensweisen<br />

und Schlüsselqualifikationen, die man aber in den Fächern<br />

Deutsch, Mathematik und Englisch vielleicht gerade<br />

nicht erwirbt. Sondern, wie wir gesehen haben, in «Rhythm is<br />

it» beim Tanz oder in dem Film die «Kinder des Monsieur Matthieu»:<br />

«Du kannst nicht singen, dann wirst du Notenständer,<br />

dann kannst du das.» Ein Enkelkind von mir hat einmal im Kindergarten<br />

eine sagenhafte Weihnachtskarriere von «Stall» zu<br />

«Engel» hinter sich gebracht. Jedes Kind kann etwas.<br />

Aber dann müsste das Schulsystem komplett umgekrempelt<br />

werden. Ist das nicht unrealistisch?<br />

Das ist gar nicht unrealistisch. Die freien <strong>Schule</strong>n machen es<br />

vor und sie boomen. Sie sagen: Jeder wird bis zu dem Punkt<br />

gefördert, wo er seinen Abschluss findet. Die Odenwaldschule<br />

– eine berühmte alte Reformgründung, die von ihrem Mythos<br />

lebt und inzwischen eine ganz normale südhessische<br />

Gesamtschule ist – die macht mit 60 Absolventen pro Jahr<br />

zehn Abschlussprofile. Ja, wieso auch nicht? Und wenn man<br />

fragt: Was habt ihr für ein Profil, dann sagen sie: «Das wissen<br />

wir auch nicht. Wir produzieren Absolventen wie Till Necker<br />

gewesener Präsident des Bundesverbands deutscher Industrie,<br />

Daniel Cohn-Bendit und Beate Uhse. Unsere <strong>Schule</strong> beherzigt<br />

das Motto: Werde, der du bist.»<br />

© bildungsclick.de; 16. Juni 20<strong>06</strong><br />

die zeigt, hat sich dieser Trend mit den<br />

Schulreformen fortgesetzt und das<br />

Schweizer Schulsystem scheint sich<br />

dem Niveau des englischen Bildungssystems<br />

nicht nur in Bezug auf die<br />

Bürokratisierung anzunähern.<br />

P. Aebersold, Bezirksschulpfleger, <strong>Zürich</strong>, 20. 6.<strong>06</strong><br />

10 Wünsche an die oberste Schulbehörde<br />

– Lasst den Lehrerinnen und Lehrern<br />

genügend Zeit, damit sie gut unterrichten<br />

können.<br />

– Unternehmt alles, damit ihre Freude<br />

am Unterrichten erhalten und gefördert<br />

wird.<br />

– Unterrichten ist anspruchsvoll, aber<br />

nicht kompliziert, begrabt es nicht unter<br />

einem Wust von knochentrockenen<br />

Theorien.<br />

– Schützt die Lehrpersonen vor übereifrigen<br />

Experten, Evaluatoren und<br />

sonstigen wohlmeinenden Ratgebern.<br />

– Vertraut den Schulteams, dass sie das<br />

Beste für die Schüler/innen leisten wollen.<br />

– Befreit die Lehrpersonen vom überbordenden<br />

Schreibkram, dem Ausfüllen<br />

von Tabellen, Formularen und<br />

Schulblatt des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong> 4/20<strong>06</strong> 79

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