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Martin Pollack Meine Begegnungen mit Belarus Statt eines Vorworts

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DOSSIER BELARUS<br />

Mit blau-rotem Blinklicht rast die »Schnelle« durch die Stadt, heult von<br />

Zeit zu Zeit an den Kreuzungen auf, da<strong>mit</strong> auch die dümmsten Autofahrer<br />

ausweichen können.<br />

Tempo, Warnlicht, Hupen, der Motor dröhnt – der Fahrer versteht sein<br />

Handwerk und ist zufrieden <strong>mit</strong> sich, Geschwindigkeit und Autos sind sein<br />

Hobby.<br />

Da kracht es, der Wagen zieht nach links, dann nach rechts, verliert an<br />

Geschwindigkeit und bleibt schließlich an einer belebten Kreuzung liegen,<br />

wie ein rot-weißer Vorwurf gegen die Automobilindustrie.<br />

Der Fahrer stürzt förmlich aus der Kabine und reißt <strong>mit</strong> einem Handgriff<br />

die Motorhaube auf …<br />

Keilriemen gerissen! Und er hat noch gesagt, es sei höchste Zeit, ihn zu<br />

wechseln!<br />

Der Sanitäter springt hinten aus der »Schnellen«, wirft sich förmlich vor<br />

die vorbeifahrenden Autos, um <strong>eines</strong> zum Anhalten zu bewegen, schließlich<br />

geht es um Leben und Tod. Doch die Autos brausen ohne anzuhalten vorbei,<br />

die Fahrer schimpfen aus den Fenstern, was hat der Sanitäter da auf der<br />

Straße herumzuspringen.<br />

Der Sanitäter läuft ein paar Minuten auf und ab und kehrt schließlich zur<br />

Krankenschwester im Wagen zurück, wischt sich keuchend den Schweiß von<br />

Stirn und Brille und fragt, wie es um Vasia steht.<br />

Die Schwester verzieht zynisch den Mund und sagt: »Naja, ist nicht sein<br />

Tag heute. Armer Hausmeister. Ist echt nicht sein Tag. Scheiße.«<br />

Vasias Bewusstsein will sich da<strong>mit</strong> jedoch nicht abfinden!!! »Verflucht soll<br />

er sein, dieser beschissene Keilriemenhersteller!« Es waren seine letzten<br />

Worte.<br />

Siebenhundert Kilometer entfernt, in Russland, steht Tolik wie immer an<br />

der Maschine und stanzt Keilriemen für »Gazel« und andere Kleinbusse, da<br />

greift er sich <strong>mit</strong> der rechten Hand an die Brust, und sechs Sekunden später<br />

ist er tot.<br />

19. 05. 2009<br />

46<br />

Aus dem <strong>Belarus</strong>sischen<br />

von Tina Wünschmann<br />

Aus: Pomnik atručanym ljudzjam. Apavjadanni, minijacjury. Minsk: Halijafy 2009. 183–185

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