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Martin Pollack Meine Begegnungen mit Belarus Statt eines Vorworts

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DOSSIER BELARUS<br />

Blick von der Straße zu lösen, riss er die Packung auf, die er <strong>mit</strong> einer Hand<br />

ans Lenkrad gepresst hielt.<br />

Überall, vor jedem Haus, jedem Eingang, in jedem Hof standen Menschen.<br />

So weit das Auge reichte. Der Nachtwind fuhr leicht unter ihre weißen<br />

Gewänder. Keiner sagte ein Wort. Alle warteten schweigend, dass er sie holte,<br />

zur langen Reise, zur langen Reise, zur Reise durch die dunkle Nacht, im<br />

fliederfarbenen Bus.<br />

Oktober 1998, Kobryń<br />

54<br />

Aus dem <strong>Belarus</strong>sischen<br />

von Thomas Weiler<br />

Aus: Kvadratnaja varona. Apovedy. Polacak, Horadnja, Kobryń: Časopis Kalos’se 2000.<br />

80-86<br />

Sakrat Janovič<br />

Hańdzias Begräbnis<br />

Hańdzia hatte Glück <strong>mit</strong> dem Tod: Sie starb so leise, wie sie gelebt hatte.<br />

Sie schied zur rechten Zeit aus der Welt: Haus und Hof waren bestellt,<br />

und es würde wohl auch ohne sie weitergehen.<br />

Die Frauen, die sich zu ihrer Beerdigung einfanden, beneideten Hańdzia.<br />

Das Haus stand tadellos da, ebenso der neue Stall, die Tenne <strong>mit</strong> zwei Dreschböden<br />

und der große Garten; sie, die Fleißige, musste sich vor Gott nicht<br />

schämen. Alle betrauerten sie, und die Kinder würden sie in guter Erinnerung<br />

behalten; sie hatte nicht lang leiden müssen.<br />

Es war gut, auf so einem Hof zu sterben!<br />

Die Männer standen reglos und betrachteten wehmütig die gekämmte, sauber<br />

gekleidete Entschlafene, <strong>mit</strong> einem Anflug von Bitternis, als blickten sie<br />

ohne Stolz auf das eigene Leben zurück …<br />

Verabschiedet wurde Hańdzia ohne Jammern und Wehklagen, in nachdenklicher<br />

Stimmung, von Alten und Jungen. Beim Trauermahl schaute nicht einmal<br />

Liter-Antak zu tief ins Glas, und alle bewunderten den schön geschmückten<br />

Anhänger, auf dem der Sarg bis zum Friedhof gebracht worden war, ja

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