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Martin Pollack Meine Begegnungen mit Belarus Statt eines Vorworts

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DOSSIER BELARUS<br />

s´ledz´ po japońsku (marinierter Hering auf japanische Art, wobei ich nie erfahren<br />

habe, was die Speise <strong>mit</strong> Japan zu tun hat) und Wurst <strong>mit</strong> gebratenem<br />

Zwiebel (beides kalt), die, ihrem Aussehen nach zu schließen, in der Vitrine<br />

bei der Schank nicht ihr erstes Weihnachtsfest erlebte. Wir hielten uns an den<br />

Wodka. Nach der dritten oder vierten Flasche begannen meine neuen Freunde<br />

über die Situation der weißrussischen Minderheit in Polen zu erzählen,<br />

über vielfältige Diskriminierungen und Ausgrenzungen. Wer sich offen als<br />

Weißrusse bekenne, so sagte ihr Wortführer im Flüsterton, wobei er wachsame<br />

Blicke in die Runde warf, obwohl wir die einzigen Gäste waren, werde<br />

von den Behörden schikaniert, überhaupt werde die weißrussische Kultur auf<br />

Schritt und Tritt unterdrückt. Die anderen nickten und schauten trüb in ihre<br />

Gläser. Ich fand das ungeheuer spannend.<br />

Etwa zwanzig Jahre später – die Situation der Minderheit hatte sich in<br />

Polen deutlich verbessert, es gab belarussische Zeitungen und Zeitschriften,<br />

die diesen Namen verdienten, Verlage, Festivals und anderes mehr – lernte<br />

ich in Warschau den Doyen der belarussischen Literatur in Polen, Sakrat<br />

Janovič, kennen. Ein polternder, breitschultriger Mann <strong>mit</strong> offenem, bäuerlichem<br />

Gesicht, ein Meister der kurzen Prosa, kleiner poetischer Skizzen und<br />

kurzer Erzählungen, die häufig in seiner mała ojczyzna, seiner »kleinen Heimat«,<br />

der Region von Białystok, spielen. Dort hat Janovič in seinem Heimatdorf<br />

Krynki ein Zentrum der belarussischen Kultur errichtet, bescheiden<br />

Villa Sokrates genannt, zusammen <strong>mit</strong> dem Maler Leon Tarasewicz, der ebenfalls<br />

stolz seine weißrussische Herkunft betont. Seit über zehn Jahren erscheint<br />

in Krynki der »Annus Albaruthenicus«, ein Jahrbuch <strong>mit</strong> Aufsätzen, Prosastücken,<br />

Gedichten und Rezensionen, das eine hervorragende Übersicht über<br />

das Schaffen belarussischer Autoren und Intellektueller bietet. Überhaupt hat<br />

sich Polen seit Jahren als wichtiger Drehpunkt und Ver<strong>mit</strong>tler für die belarussische<br />

Literatur etabliert – in polnischen Zeitschriften und Verlagen erscheinen<br />

zahlreiche Übersetzungen der neuesten belarussischen Werke, und<br />

die polnische Presse informiert umfassend über die Vorgänge jenseits der<br />

Grenze, worauf die belarussischen Behörden gern auf ihre Art antworten. Der<br />

Korrespondent der überregionalen »Gazeta Wyborcza« zum Beispiel, Andrzej<br />

Poczobut, belarussisch: Andrej Pačobut, aus der im Länderdreieck <strong>Belarus</strong>,<br />

Litauen und Polen gelegenen belarussischen Provinzstadt Hrodno, wurde im<br />

März 2011 wegen seiner kritischen Berichterstattung verhaftet und zu einer<br />

mehrjährigen Gefängnisstrafe – <strong>mit</strong> Bewährung auf zwei Jahre – verurteilt.<br />

Doch Poczobut lässt sich nicht einschüchtern und berichtet weiter aus seiner<br />

Heimat.<br />

Seit der Begegnung <strong>mit</strong> Janovič nahm ich jede sich mir bietende Gelegenheit<br />

wahr, um belarussische Autoren zu treffen – in Warschau, in Krakau, in<br />

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