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Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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(l)NTACT<br />

Der bundesweite Verein<br />

(I)NTACT wurde Ende Januar<br />

1996 auf Initiative von Christa<br />

Müller, der Ehefrau des saarländischen<br />

Ministerpräsidenten Oskar<br />

Lafontaine, gegründet. Zu<br />

den prominenten Gründungsmitgliedern<br />

zählen Norbert Blüm,<br />

Katharina Focke, Günther Jauch<br />

und Horst-Eberhard Richter. Der<br />

Verein ist gemeinnützig und parteiunabhängig.<br />

Ziel von (I)NTACT ist es, den<br />

Brauch der Genitalverstümmelung<br />

von Mädchen und Frauen<br />

zu bekämpfen. Dieser Brauch<br />

wird überwiegend in circa 30<br />

afrikanischen Staaten praktiziert.<br />

Afrikanische Immigrantinnen,<br />

die zu Ethnien gehören, in denen<br />

die Genitalverstümmelung<br />

üblich ist, beschneiden ihre Töchter<br />

auch in europäischen Gastländern.<br />

Außerdem wird die verstümmelnde<br />

Operation vereinzelt<br />

in Syrien, Jordanien, Oman, im<br />

Irak und im Jemen durchgeführt.<br />

Es gibt verschiedene Formen<br />

und Ausprägungen der Genitalverstümmelung<br />

von Mädchen<br />

und Frauen. Man unterscheidet<br />

im wesentlichen drei Formen:<br />

• Bei der sogenannten 'sunnitischen<br />

Beschneidung' oder<br />

'Sünna' wird die Klitorisspitze<br />

oder die über der Klitoris<br />

befindliche Vorhaut abgetrennt.<br />

Diese Form ist eher selten.<br />

• Am weitesten verbreitet ist die<br />

Klitoridektomie, bei der die<br />

Klitoris und die kleinen<br />

Schamlippen teilweise oder<br />

vollständig amputiert werden.<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9, Hi rr I. 1996<br />

• Die schwerwiegendste Form<br />

der Genitalverstümmelung ist<br />

die sogenannte 'pharaonische<br />

Beschneidung' oder Tnfibulation'.<br />

Die Klitoris und die kleinen<br />

Schamlippen werden vollständig<br />

entfernt und die großen<br />

Schamlippen werden reduziert.<br />

Die verbleibenden<br />

Hautreste näht man bis auf<br />

eine reiskorngroße Öffnung<br />

zusammen oder heftet sie mit<br />

Dornen. Für den Vollzug des<br />

ehelichen Geschlechtsverkehrs<br />

muß die Infibulationsnaht teilweise<br />

wieder geöffnet werden<br />

(Defibulation). Für die Geburt<br />

ist es erforderlich, die Infibulationsnaht<br />

ein weiteres Stück<br />

aufzuschneiden. Im Anschluß<br />

an die Geburt werden die äußeren<br />

Schamlippen erneut bis<br />

auf eine reiskorngroße Öffnung<br />

zusammengenäht (Refibulation).<br />

Die meisten Mädchen werden im<br />

Alter von vier bis acht Jahren beschnitten.<br />

Das Alter der zu Beschneidenden<br />

variiert nach Ethnie<br />

und Region. Die Bedingungen,<br />

unter denen die Operation<br />

durchgeführt wird, entsprechen<br />

nur in Ausnahmefällen medizinischen<br />

Standards. Traditionelle<br />

Heilerinnen, Hebammen oder<br />

Barbiere operieren in der Regel<br />

ohne Narkose mit Rasierklingen,<br />

Messern, stumpfen Scheren,<br />

Glasscherben und ähnlichen Instrumenten.<br />

Die Folgen für Leben<br />

und Gesundheit der betroffenen<br />

Mädchen und Frauen sind<br />

gravierend, und Todesfälle sind<br />

keine Seltenheit. Sie stehen entweder<br />

in unmittelbarem Zusammenhang<br />

mit der Operation, bei<br />

der die Mädchen oder entbinden­<br />

de Mütter verbluten oder mittelbar,<br />

indem Infektionen wie Tetanus<br />

oder AIDS auftreten. Zu<br />

den beträchtlichen Folgen der<br />

Verstümmelung gehören chronische<br />

Entzündungen des gesamten<br />

uro-genitalen Traktes sowie<br />

psycho-sexuelle Probleme.<br />

Die Ursprünge der weiblichen<br />

Genitalverstümmelung liegen tausende<br />

von Jahren zurück. Die ältesten<br />

bekannten Hinweise sind<br />

Gemälde, die die weibliche Beschneidung<br />

in Ägypten im dritten<br />

Jahrtausend vor Christi Geburt<br />

überliefern. Aus Sicht der<br />

betroffenen Mütter und Großmütter<br />

ist die Genitalverstümmelung<br />

ihrer Töchter notwendig und<br />

selbstverständlich. Die Mädchen<br />

selber sind in der Regel zu jung,<br />

um die Folgen der Operation abzuschätzen<br />

und eine echte Entscheidung<br />

zu treffen. Es existieren<br />

viele verschiedene Begründungen<br />

für den Brauch, die ihn<br />

sozial, kulturell, religiös und wirtschaftlich<br />

fest in das jeweilige<br />

Normen- und Wertesystem der<br />

verschiedenen Ethnien einbinden.<br />

Dennoch gibt es in vielen afrikanischen<br />

Staaten, in denen die genitale<br />

und sexuelle Verstümmelung<br />

von Mädchen und Frauen<br />

praktiziert wird, Zusammenschlüsse<br />

von engagierten Frauen,<br />

die diese Praktik bekämpfen.<br />

Sie betreiben vor Ort Informations-<br />

und Aufklärungsarbeit. Diese<br />

'Komitees gegen traditionelle<br />

Praktiken, die die Gesundheit von<br />

Kindern und Frauen schädigen'<br />

konnten bereits erste Erfolge erzielen.<br />

Sie werden von den jeweiligen<br />

Regierungen zwar meistens<br />

ideell, aber selten finanziell<br />

unterstützt.

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