Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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42 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9. HEFT 4, 1996<br />
tenmeer), ist öffentlich der zentrale Ansatzpunkt<br />
für Kritik von ökologisch engagierter<br />
Seite - neben der Kritik daran, daß das Spektakuläre<br />
zu oft von jenem Thema ablenkt, das<br />
es auf die öffentliche Tagesordnung bringen<br />
soll.<br />
Ähnlich liegt der Fall mit der Beschränkung<br />
der Aktivität auf Umwelt-Themen. Gewiß, hin<br />
und wieder sind von Grenpeace friedenspolitische<br />
Stellungnahmen und gelegentlich auch<br />
Proteste in Menschenrechtsfragen zu hören,<br />
ohne daß diese erst dreifach ökologisch verpackt<br />
wären. Insgesamt aber hat die Organisation<br />
alle Herausforderungen zur thematischen<br />
Ausweitung ihrer Aktivitäten zurückgewiesen.<br />
Wem soziale Fragen wichtiger sind,<br />
der wird z.B. die Disproportion der öffentlichen<br />
Reaktionen auf Brent Spar und Nigeria<br />
bedauern (wo Greenpeace übrigens eine Zeitlang<br />
mit ungewöhnlich hohen humanistischen<br />
Anteilen argumentierte). Wo es um Greenpeace<br />
geht, wäre zu berücksichtigen, daß die Organisation<br />
sich bereits zu einem Zeitpunkt als<br />
Umweltgruppe (mit deutlich geringeren friedenspolitischen<br />
Ambitionen) definierte, als<br />
das Desinteresse an Themen der Sozialpolitik<br />
und der internationalen Solidarität noch<br />
nicht so groß war und linke Optionen bei einer<br />
Vielzahl von Menschen hoch im Kurs standen,<br />
die sich heute vorwiegend für Projekte<br />
der Mittelstandssanierung interessieren. Ein<br />
Lavieren nach der Konjunktur jedenfalls ist<br />
der Organisation kaum vorzuwerfen - und<br />
wenn, dann höchstens ein mit großer Weitsicht<br />
betriebenes.<br />
Thematische Ausgrenzungen und Beschränkungen<br />
in politischen und ethischen Substanz-Fragen<br />
sind stets moralisch prekär - das<br />
wird auch ein denkender Greenpeacer nicht<br />
bestreiten, der sie als nötig ansieht. Die Problematik<br />
betrifft zu einem nicht geringen Teil<br />
politisch-strategisches Handeln (als Form<br />
überhaupt), das darin besteht, zugunsten einer<br />
(tatsächlichen oder jedenfalls erwarteten)<br />
größeren Wirkungsmacht vom Einzelfall zu<br />
abstrahieren, also die Fähigkeit zur Kälte und<br />
zur Distanz gegenüber dem Leid. Die andere<br />
Frage, ob Greenpeace das auch durch das außerordentliche<br />
Konzentrationsvermögen gewonnene<br />
Prestige nicht sehr viel öfter nutzen<br />
sollte, um als Umweltorganisation (nicht als<br />
Allroundprotestgruppe) für Menschenrechte<br />
und Friedenspolitik zu optieren, ist in der Organisation<br />
selbst nicht unstrittig - der Verdacht,<br />
allzuviel geschähe nur aus Opportunismus<br />
nicht, wird durch die Enthaltsamkeit<br />
von Greenpeace in diesen Fragen jedenfalls<br />
genährt.<br />
4 <strong>Soziale</strong> Basis<br />
Die soziale Basis des Greenpeace-Modells ergibt<br />
sich historisch gesehen aus dem Rückzug<br />
des engagierten Typus aus der aktiven<br />
Politik, seiner Selbstbescheidung mit indirekten<br />
Formen des Eingreifens. Greenpeace-Förderer<br />
sind zwar nicht vorwiegend ehemalige<br />
Aktivisten der Anti-AKW-Bewegung oder politischer<br />
Organisationen, und etliche mögen<br />
durchaus in Initiativen vor Ort tätig sein. Auch<br />
ist nicht ausgemacht, ob sich eine erneute Politisierungswelle<br />
überhaupt zu Lasten von<br />
Greenpeace auswirken würde. Dennoch: Hätte<br />
sich durch das Auslaufen der sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
und die Krise des parteipolitischen<br />
Engagements nicht eine Lücke aufgetan,<br />
Greenpeace hätte wohl nur schwer einen Platz<br />
für sich finden können.<br />
Form und Umfang der Mobilisierung zu Brent<br />
Spar lassen erkennen, wie sehr das Greenpeace-Modell<br />
der politischen Partizipation<br />
dem individuellen Bedürfnis nach öffentlicher<br />
Aktivität gegenwärtig weithin gerecht<br />
wird. Umweltpolitisches Engagement steht<br />
heute unter dem Vorzeichen einer Bürger-Va-