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Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlungen<br />

Kurze Zeit später wurde am 25. Juli 1934 Dollfuß bei einem fehlgeschlagenen<br />

Putschversuch der Nationalsozialisten ermordet.<br />

Sein Nachfolger als Bundeskanzler war Dr. Schuschnigg.<br />

5. Der Ständestaat war aber auch nicht im Stande die staatliche<br />

Eigenständigkeit Österreichs zu erhalten. Am <strong>11</strong>. März 1938<br />

musste Bundeskanzler Dr. Schuschnigg, der zu spät die Unterstützung<br />

der Sozialdemokraten angesprochen hatte, erkennen, dass<br />

seine Versuche, die Selbständigkeit Österreichs zu erhalten, gescheitert<br />

waren. So wurde er von Hitler gezwungen, eine für<br />

13. März anberaumte Volksabstimmung über die Selbständigkeit<br />

Österreichs abzusetzen. Um Blutvergießen zwischen zwei deutschen<br />

Staaten zu vermeiden, gab er in den Abendstunden des<br />

<strong>11</strong>. März 1938 seinen Rücktritt mit den Worten bekannt: „Wir<br />

weichen der Gewalt, Gott schütze Österreich.“ Am 12. März<br />

marschierte, geduldet und gerufen von seinem Nachfolger Seyß-<br />

Inquart, die deutsche Wehrmacht in Österreich ein. Dem lauten<br />

Jubel der Massen stand das Schweigen und die Angst tausender<br />

Österreicher gegenüber, die sich als Sozialdemokraten und Christlichsoziale,<br />

als Kommunisten und Juden von der Weltöffentlichkeit<br />

im Allgemeinen und von Mussolini im Besonderen verraten sahen<br />

und beobachten mussten, wie die NS-Gewaltigen unter sofortiger<br />

Übernahme der Exekutive jeden Widerstand durch Österreich-<br />

Treue oder Ablehnung des NS-Regimes ohne Verzug rücksichtslos<br />

ausschaltete. Tausende Österreicher verließen in der Folge, soweit<br />

ihnen dies möglich war, aus politischen und rassischen Gründen<br />

Österreich und zogen ein Flüchtlingsschicksal dem Verbleiben in<br />

der verlorenen Heimat vor. Mit einer Volksabstimmung am<br />

10. April 1938 wurde von Hitler den Österreichern sodann das<br />

offene Bekenntnis zum Anschluss endgültig abverlangt; es hieß:<br />

Für den, der nicht dagegen ist, bedarf es keiner Wahlzelle.<br />

Das zu Behauptungen, Österreich sei nicht Opfer, sondern Verbündeter<br />

Nazi-Deutschlands gewesen.<br />

6. Der Weg in die 2. Republik führte 7 Jahre durch die Konzentrationslager<br />

der Nazis, der die jahrelang gemeinsam Inhaftierten<br />

der vorher verfeindeten demokratischen Parteien einen Konsens für<br />

ein künftiges Österreich finden ließ.<br />

7. Dennoch wären unter normalen Umständen die Geschehnisse<br />

ab März 1933 ein unüberwindliches Hindernis für eine gemeinsame<br />

Staatsgründung der vor 1938 verfeindeten Parteien gewesen.<br />

Die Umstände waren aber bei Ende des 2. Weltkrieges nicht<br />

gewöhnlich.<br />

Welan erläutert8 ), wie Karl Renner ab Anfang April 1945 mit großer<br />

staatsmännischer Geschicklichkeit den kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner fand, der von den Alliierten als Verfassungsgebung für das<br />

wieder erstandene Österreich hingenommen und von den politischen<br />

Parteien akzeptiert wurde. Es war dies das B-VG 1920 idF<br />

1929 nach dem Stand der Gesetzgebung vom 5. März 19339 ).<br />

Der große Unterschied zu 1920 waren die Menschen, die als Ostmärker<br />

und Angehörige der Donau- und Alpengaue eine Lektion<br />

lernen mussten, die sie ihr Selbstwertgefühl als Österreicher finden<br />

ließ. Die geheime Hymne, die die Kriegsgefangenen und die<br />

daheim Verbliebenen in den zerstörten Städten mit Österreich verband,<br />

lautete: Heimat warst du großer Ahnen, Heimat bliebst Du<br />

ohne Namen, und erfüllte die Herzen mit Sehnsucht nach dem Verlorenen.<br />

Das Kriegsende eröffnete die Chance, die Trümmer, die übrig<br />

geblieben waren, zu räumen und den Schutt zu beseitigen.<br />

Die Trümmerfrauen bleiben unvergessen. Der Wiederaufbau war<br />

weiblich.<br />

Die Kriegsgefangenen kehrten langsam als ausgemergelte Gestalten<br />

zurück, ließen aber das Glücksgefühl sprießen, dass die<br />

Schrecken überstanden waren, und dies bereitete den Boden, das<br />

Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Zuallererst gegen die<br />

Besatzungsmächte, die man als Fremdkörper loswerden wollte.<br />

Gegen sie richteten sich die Bemühungen um ein freies Österreich,<br />

das raschest in der Form wieder zu errichten war, die zeitmäßig<br />

noch durch einen, wenn auch noch so dünnen, Parteienkonsens<br />

aus der Vergangenheit ersichtlich war. Dieser Last-Konsens fand<br />

sich in der B-VGNov 1929 und war greifbarer als die Schaffung<br />

einer neuen Verfassung, die unter dem Risiko stand, von der russischen<br />

Besatzungsmacht diktiert zu werden.<br />

Dem notwendigen Weg eines positive thinking kam die Verfassungskonstruktion<br />

entgegen, die Kelsen dem B-VG gegeben hatte,<br />

die eine rein rechtstechnische ist10 ), die die Rechtsform völlig offen<br />

lässt<strong>11</strong> ). Sie erlaubt als Varianten alles von einer Allparteienregierung<br />

bis hin zur Alleinregierung einer Partei, ebenso große wie<br />

kleine Koalitionen, eine Minderheitsregierung und selbst ein Expertenkabinett.<br />

Fast alles wurde in den letzten 50 Jahren politisch ausprobiert<br />

und zum Teil missbraucht.<br />

8. Die Dominanz der Rechtstechnik erlaubte auch die vom VfGH<br />

scharf kritisierte Technik, Verfassungsbestimmungen zu schaffen,<br />

um Erkenntnisse des VfGH zu unterlaufen, so dass er12 ) warnt,<br />

auch eine Häufung von Verfassungsbestimmungen, die zu die<br />

leitenden Grundsätze des Bundesverfassungsrechts berührenden<br />

Maßnahmen führt, eine nicht baugesetzkonforme Auslegung bewirken<br />

könne, die dann nicht mehr toleriert werden könnte.<br />

Klecatsky13 ) spricht von einer Verfassungsruine, einer Sicht, die<br />

Morscher14 ) in „Lebendiges oder gerade noch lebendes Verfassungsrecht<br />

– Soll das B-VG seinen 80. Geburtstag erleben?“<br />

moderat widerlegt, mit der abschließenden Folgerung seines Beitrages,<br />

der Geist der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April<br />

8) Welan, siehe FN 3.<br />

9) § 2 VÜG vom 1. 5. 1945.<br />

10) Stourzh, siehe FN 5, Verfassungstag 1991, 35.<br />

<strong>11</strong>) Welan, siehe FN 3, 27ff.<br />

12) ZB in VfSlg <strong>11</strong>.829/1988.<br />

13) Im Vorwort von der Manzschen Taschenausgabe der österreichischen<br />

Bundesverfassungsgesetze von Klecatsky/Morscher 8 VI.<br />

14) Morscher, in Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit an der<br />

Schwelle zum 21. Jahrhundert, Juristische Schriftenreihe Band 152.<br />

654 AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong>

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