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Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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nahme zugrundeliegende Urteil noch nicht rk war. Es könne nicht<br />

sein, dass im Verfahren über die gerichtlich strafbare Tat die Unschuldsvermutung<br />

bis zur Rk des Urteils gelte, währenddessen aber<br />

eine DisMaßnahme verhängt werde, die noch größere Auswirkungen<br />

als das Strafurteil selbst habe. Sollte sich im Nachhinein die<br />

strafrechtliche Unschuld des Bf herausstellen, so wäre sein sozialer,<br />

gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stand innerhalb der Anwaltschaft<br />

durch diese Maßnahme bereits ruiniert. Die konkret<br />

verhängte Maßnahme komme in der Schwere des Übels einer<br />

Freiheitsstrafe gleich.<br />

2.2. Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung<br />

setzt voraus, dass mit der vorläufigen Ausübung der Untersagung<br />

der RA-schaft über eine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 EMRK entschieden<br />

worden ist (vgl EGMR 25. 8. 1987, Lutz gegen Bundesrepublik<br />

Deutschland, EuGrZ 1987, 399ff; Frowein/Peukert,<br />

EMRK-Kommentar2 [1996] 280, VfGH 4. 10. 1999, B 2598/97,<br />

B 997/98). Bereits im Erk VfGH 4. 10. 1999, B 2598/97,<br />

B 997/98 hat sich der VfGH mit der Frage auseinandergesetzt,<br />

ob einstw Maßn unter den Begriff der „strafrechtlichen Anklage“<br />

iSd Art 6 EMRK fallen. Der VfGH verneinte dies und begründete<br />

diese Rechtsauffassung wie folgt:<br />

„Der Intention des Gesetzgebers entsprechend handelt es sich bei den<br />

einstwMaßn gem § 19 Abs 3 DSt 1990 um im öffentlichen Interesse gelegene<br />

sichernde Maßnahmen. So wird in den Erläuternden Bemerkungen<br />

der Regierungsvorlage zu § 19 DSt 1990 (RV <strong>11</strong>88 BlgNR 17. GP) ausgeführt:<br />

‚Die bisher im § 17 DSt geregelten einstwMaßn werden in einem eigenen<br />

Vierten Abschnitt (§ 19) zusammengefaßt, um auch systematisch zu unterstreichen,<br />

daß es sich hier nicht um Strafen, sondern um sichernde Maßnahmen<br />

handelt.‘<br />

Wie der VfGH im Erk VfSlg. <strong>11</strong>506/1987 (in Übereinstimmung mit der<br />

Judikatur des EGMR, etwa im Fall Öztürk, EuGrZ 1985, 62) dargetan hat,<br />

ist grundlegende Voraussetzung dafür, daß einer Norm strafrechtlicher Charakter<br />

zukommt, der sowohl präventive als auch repressive Zweck der Sanktion<br />

sowie der ihr innewohnende Tadel und das dem sanktionierten Verhalten<br />

gegenüber ausgesprochene Unwerturteil (VfSlg. <strong>11</strong>937/1988). Im vorliegenden<br />

Fall war die vorläufige Untersagung der Ausübung der RA-schaft<br />

zwar die Folge einer von einem Strafgericht (einem Tribunal iSd Art. 6<br />

EMRK) ausgesprochenen Verurteilung, die einstwMaßn der vorläufigen Untersagung<br />

zielte jedoch nicht selbst auf eine Bestrafung ab. Sie bezweckte<br />

die Hintanhaltung von zu besorgenden schweren Nachteilen, insbesondere<br />

für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung sowie für das Ansehen<br />

des Standes: Wenn im vorliegenden Fall bei einem RA eine Verurteilung<br />

wegen schweren Betruges ausgesprochen wird und daher zu besorgen ist,<br />

daß er nicht mit dem gleichen Einsatz und Nachdruck für die Interessen seiner<br />

Mandantschaft eintreten wird, kommt der Maßnahme nicht der Zweck<br />

zu, dem Bf den Unrechtsgehalt seiner Handlung vorzuwerfen und ihn dafür<br />

zu tadeln. Das gleiche gilt für die Voraussetzung der zu befürchtenden<br />

Nachteile für das Ansehen des Standes. Diesbezüglich wird allein darauf<br />

abgestellt, ob die weitere Ausübung der RA-schaft bei RAen, gegen die ein<br />

Strafverfahren anhängig ist, geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in<br />

den RA-Stand nachhaltig zu schädigen. Das Gesetz verlangt keine Prüfung,<br />

ob der Schuldvorwurf tatsächlich zutrifft.<br />

Rechtsprechung<br />

Die Verhängung dieser Maßnahme verfolgt sohin allein das Ziel, den RA<br />

aufgrund des entgegenstehenden öffentlichen Interesses von der weiteren<br />

Ausübung seines Berufes fernzuhalten. Auch wenn diese Maßnahme in ihrer<br />

tatsächlichen Auswirkung für den einzelnen eine Strafe gleichkommen kann,<br />

ändert dies nichts an ihrer Qualifikation als sichernde Maßnahme (vgl. etwa<br />

VfSlg. 12652/1991 – zur Suspendierung eines Richters vom Dienst und<br />

VfSlg. <strong>11</strong>937/1988 – zum Entzug der Apothekenkonzession wegen mangelnder<br />

Verläßlichkeit).<br />

Da es sich bei der vorläufigen Untersagung der RA-schaft ihrem Wesen nach<br />

um eine sichernde Maßnahme handelt, die bei Vorliegen der angeführten<br />

gesetzlichen Voraussetzungen getroffen werden kann und vor allem keine<br />

endgültige Lösung darstellt, braucht auch durch rk Strafurteil nicht nachgewiesen<br />

zu werden, daß der RA das ihm durch Strafurteil zur Last gelegte und<br />

in der Folge standeswidrige Verhalten tatsächlich begangen hat. Es wird die<br />

Vermutung der Unschuld nicht in Frage gestellt.“<br />

Der VfGH sieht sich anlässlich der vorliegenden Beschwerde nicht<br />

veranlasst, von dieser Rsp abzugehen; das zur einstwMaßn der<br />

vorläufigen Untersagung der RA-schaft Gesagte gilt auch für die<br />

einstwMaßn nach § 19 Abs 3 Z 1 lit b DSt 1990. Der Bf wurde sohin<br />

nicht in der durch Art 6 Abs 2 EMRK garantierten Unschuldsvermutung<br />

verletzt.<br />

3.1. Unter dem Titel des Art 6 EMRK bringt der Bf weiters vor,<br />

dass das DisVerfahren nicht nach den Grundsätzen des fair trial<br />

durchgeführt worden sei. „Es kam zu keinem fair hearing, es<br />

wurde nicht verhandelt, es wurde verabsäumt, gesetzeskonform zu<br />

ermitteln, das Recht des Bf auf persönliche Anwesenheit wurde völlig<br />

ignoriert . . .“.<br />

3.2. Der VfGH teilt die Ansicht des Bf, dass Art 6 EMRK im vorliegenden<br />

Verfahren anzuwenden ist, weil einstwMaßn, die die Berufsausübung<br />

eines RA beschränken, ein civil right – wenngleich<br />

auch nicht in dessen Kernbereich (vgl dazu grundlegend VfSlg<br />

<strong>11</strong>.500/1987, zum Entzug der Apothekenkonzession vgl VfSlg<br />

<strong>11</strong>.937/1988) – des Bf betreffen (vgl auch EGMR 30. <strong>11</strong>. 1987,<br />

Fall H/Belgien, ÖJZ 1988, 220). Die Abhaltung einer mündlichen<br />

Verhandlung war jedoch im konkreten Fall nicht geboten:<br />

Tatbestandsmerkmal für die Verhängung der vorläufigen Maßnahme<br />

war im konkreten Fall das Strafurteil (und nicht unmittelbar<br />

die diesem zugrunde liegende Tat; vgl zu § 19 DSt 1872 –<br />

der Vorläuferbestimmung des heutigen § 16 DSt 1990 – bereits<br />

Lohsing 1925, S 386, Lohsing/Braun 1950, S 369; VfSlg<br />

<strong>11</strong>.284/1987). Als weitere Tatbestandselemente normiert § 19<br />

Abs 1 DSt 1990 die Besorgung schwerer Nachteile, besonders für<br />

die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen<br />

des Standes.<br />

Im vorliegenden Fall wurde dem Bf hinsichtlich der ihm vorgeworfenen<br />

Sittlichkeitsdelikte vor dem LG X ausreichend Gelegenheit<br />

geboten, seine Verteidigungsstandpunkte in einer (aufgrund der<br />

Art der ihm vorgeworfenen Delikte – nichtöffentlichen) mündlichen<br />

Verhandlung darzulegen. Es kann aufgrund der Zielsetzung des<br />

§ 19 DSt 1990 nicht Aufgabe der DisBehörden sein, durch eigene<br />

Erhebungen und Feststellungen erneut das Strafverfahren zu wie-<br />

AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong> 679

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