Die Welt als Gottes Wille und Vorstellung ... - Ht-frings.de
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Arbeit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 56jährige Industriearbeiter, <strong>de</strong>r lange Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft<br />
gewesen war, dann fahrlässig getötet. Der Unfallfahrer beging zuerst Fahrerflucht. In <strong>de</strong>r Angst<br />
aber, erkannt wor<strong>de</strong>n zu sein, kehrte er zurück – mit einem Pflaster, da er sich ja verletzt habe. Er<br />
bekam ein Jahr Gefängnis. <strong>Die</strong> drei Brü<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Toten wollten ihn aus Gram <strong>und</strong> Hass umbringen,<br />
wovon ihre Frauen sie aber abhalten konnten. Ein Stoff wie aus einem Schicks<strong>als</strong>film, hautnah <strong>und</strong><br />
voller Sätze, die ein Leben lang haften bleiben wie eingeprägt in <strong>de</strong>m Gehirnkasten, <strong>de</strong>r für<br />
Schicks<strong>als</strong>schläge zuständig ist. Nun fragte ich mich <strong>als</strong> Zehnjähriger: Konnte es eine solche<br />
Vorahnung geben? Dann wäre Gott o<strong>de</strong>r wer auch immer an <strong>de</strong>r Planung <strong>de</strong>s Geschehens beteiligt<br />
gewesen. Und ich fragte mich: Warum gera<strong>de</strong> er, <strong>de</strong>r doch so viel Pech gehabt hatte. Als er aus <strong>de</strong>r<br />
langen Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, wollte sein einziges Kind, eine Tochter, ihn nicht <strong>als</strong><br />
Vater anerkennen. Sie war auf <strong>de</strong>n jüngeren Onkel geprägt, <strong>de</strong>r im selben Haus wohnte, nicht im<br />
Krieg war <strong>und</strong> wegen seiner Arbeitslosigkeit viel zu Hause gewesen war. Zu ihm sagte sie „Onka“<br />
<strong>als</strong> Variante von „Papa“, er war <strong>als</strong>o ihr Wahlpapa.<br />
Hatte er sich vielleicht im Krieg viel zuschul<strong>de</strong>n kommen lassen? Hatte er gehurt, gelogen,<br />
betrogen? Ich dachte immer wie<strong>de</strong>r an die zehn Gebote <strong>und</strong> an die mil<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>, die<br />
schon ein weltlicher Richter ihm zu je<strong>de</strong>m dieser Gebote zusprechen müsste, geschweige <strong>de</strong>nn<br />
<strong>Gottes</strong> Allgerechtigkeit. Selbst dass er vielleicht getötet haben sollte, müsste ihm verziehen<br />
wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>daseinsmodus dieser Zeit war <strong>de</strong>r Überlebenskampf, weil ein Irrer viele<br />
Gleichgesinnte, besser gesagt: viel gleiches Gesin<strong>de</strong>l gef<strong>und</strong>en hatte, die ihr Leben gestalteten aus<br />
<strong>de</strong>r Deprimiertheit ihrer Frustration im Missverhältnis zu einem hypertrophen Ich. Ich konnte das<br />
nicht glauben. Und für die angebliche Vorahnung gab es sicher nur die Erklärung, dass <strong>de</strong>r Zufall<br />
einer solchen Äußerung im Nachhinein unter an<strong>de</strong>rer Interpretationsvoraussetzung teleologisch<br />
uminterpretiert wird; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mensch fühlt sich wichtig in dieser <strong>Welt</strong>, <strong>de</strong>r materiell <strong>und</strong> geistig<br />
Geringbemittelte oft am meisten, <strong>und</strong> unter diesem Deutungskonstrukt <strong>de</strong>r <strong>Welt</strong> kann es doch nun<br />
verdammt noch mal nicht sein, dass das, was geschieht, nicht um einen selbst willen, <strong>als</strong>o für das<br />
Individuum, wegen meiner selbst geschieht. Und <strong>de</strong>r Egoismus <strong>de</strong>r Gene führt hier oft dazu, dass<br />
eine Familie – wahrscheinlich gemäß einem archaischen Sippenprinzip – alles um sie herum, ja<br />
letztlich alles in <strong>de</strong>r <strong>Welt</strong> (die früher klein war) so versteht, <strong>als</strong> sei es teleologisch um ihrer selbst<br />
willen geschehen. Aus diesem archaischen Sippenzentrismus heraus wird man zum Hel<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
zum Mör<strong>de</strong>r, zum gefeierten Erfolgsmenschen o<strong>de</strong>r zum sublim giftigen Alkoholiker, zum För<strong>de</strong>rer<br />
o<strong>de</strong>r zum Zerstörer. Das sei ja alles gottgewollt!<br />
Der zweite Fall, <strong>de</strong>r mich sehr beschäftigte, war <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>s fast an <strong>de</strong>r selben Stelle auf dieser<br />
Landstraße überfahrenen <strong>und</strong> dabei getöteten Mitschülers, <strong>de</strong>r durch eine Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r<br />
Jahrgangsstufe in die Quinta gekommen war <strong>und</strong> nun neben mir saß. Ich mochte ihn lei<strong>de</strong>n, aber er<br />
stammte aus einem betuchten Haus von Altersheimbesitzern <strong>und</strong> ich war <strong>de</strong>r Sohn eines armen<br />
Schnei<strong>de</strong>rmeisters, <strong>de</strong>r nun nur im Nebenerwerb sein Handwerk ausübte <strong>und</strong> sein <strong>und</strong> unser Brot<br />
mit Kranfahren in einem Walzwerk verdiente. Das machte mir die Sympathie etwas schwer, wie ich<br />
oft einen inneren Neid gegenüber Besitzen<strong>de</strong>n erfuhr, <strong>de</strong>r mir eine mögliche Fre<strong>und</strong>schaft schwer<br />
machte. Ich lernte <strong>als</strong> Kind, dass ich ewig kämpfen müsse, was mir <strong>de</strong>n Kampf um die<br />
Existenzversorgung einer mo<strong>de</strong>rnen sechsköpfigen Familie etwas leichter machte, aber zweimal im<br />
Leben dazu führte, dass ich mich auf einem Schlachtfeld in einem Überlebenskampf wähnte, von<br />
<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>re in die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Richtung <strong>de</strong>sertiert waren. Erst durch die davongetragenen<br />
Blessuren lernte ich das Geschick anzuwen<strong>de</strong>n, dass nicht ich es sein durfte, <strong>de</strong>r durch solche<br />
Zwiste das Nachsehen haben musste. Nicht ich muss es sein, <strong>de</strong>n die an<strong>de</strong>ren durch ihre<br />
Verbogenheit schräg machen, son<strong>de</strong>rn sie selbst sollen sich durch ihre Schrägheit in <strong>de</strong>r Begegnung