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Die Welt als Gottes Wille und Vorstellung ... - Ht-frings.de

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mit <strong>de</strong>n unwegsamen Pfa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lebens ihre Schürfw<strong>und</strong>en holen. Und wir Menschen erlei<strong>de</strong>n<br />

nun halt solche Abschürfungen, gilt doch <strong>de</strong>r Satz Immanuel Kants, nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mensch aus so<br />

krummem Holze gewachsen sei, dass man nichts Gera<strong>de</strong>s daraus schnitzen könne.<br />

Nun war dieser Junge mit 14 Jahren tot, wie uns <strong>de</strong>r Direktor an diesem nebligen grauen<br />

Novembermorgen in <strong>de</strong>r Klasse morgens vor Beginn <strong>de</strong>r ersten St<strong>und</strong>e mitteilte. Dann begann aber<br />

wie stets <strong>de</strong>r Unterricht. Kein Gespräch mit <strong>de</strong>m Klassenleiter, kein Notfallseelsorger. Zum<br />

Begräbnis gingen drei Vertreter seiner alten Klasse, die ihn ja besser kannten <strong>als</strong> ich. Seine Mutter<br />

brachte mir ein gerahmtes Foto von ihm, <strong>de</strong>nn er hatte wohl in diesen wenigen Wochen in seiner<br />

neuen Klasse positiv von mir gesprochen. Ich habe das Foto dieses mir eigentlich frem<strong>de</strong>n Jungen<br />

lange an <strong>de</strong>r Wand hängen gehabt, je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>m Jahr, in <strong>de</strong>m ich zum ersten Mal ein eigenes<br />

Zimmer hatte – mit sechszehn. Aber dieser Segen war dann durch einen Umzug auch wie<strong>de</strong>r<br />

schnell vorbei, da ich mir in <strong>de</strong>m Häuschen, wo wir für uns wohnten <strong>und</strong> nicht mehr in einem<br />

Mietshaus, das Zimmer tagsüber oft mit meinem dort nähen<strong>de</strong>n Vater <strong>und</strong> nachts mit meiner 6<br />

Jahre jüngeren Schwester teilen musste. So war es eine Erlösung, <strong>als</strong> ich mit 19 auf <strong>de</strong>m<br />

Sachsenring in Köln auf das Stu<strong>de</strong>ntenheim „Schmittmann-Kolleg“ zuging, <strong>de</strong>ssen Adresse ich aus<br />

<strong>de</strong>m Telefonbuch hatte, in <strong>de</strong>m sicheren Gefühl, dort zum ersten Mal ein eigenes Zimmer zu<br />

haben. Selbst die Tatsache, dass ich zuerst auf ein Doppelzimmer musste, schreckte mich nicht.<br />

Daraus wur<strong>de</strong>n dann zwei Semester mit wechseln<strong>de</strong>n Zimmergenossen – <strong>de</strong>r eine rauchte wie ein<br />

Schlot <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re war auf an<strong>de</strong>re Art ein liebenswürdiger Chaot. Danach wur<strong>de</strong> ich<br />

Haussprecher <strong>und</strong> hatte stets bis spät nachts oft die Bu<strong>de</strong> voll <strong>und</strong> insgesamt zog ich fünfmal um,<br />

bis ich dann im Keller ein großes Einzelzimmer mit altem Schreibtisch hatte.<br />

Warum war dieser Junge tot? Konnte das genauso <strong>Gottes</strong> Ratschluss sein wie die oben skizzierten<br />

Zimmerwechsel <strong>und</strong> alles an<strong>de</strong>re noch Belanglosere? Dam<strong>als</strong> hörte ich zum ersten Mal <strong>de</strong>n heillos<br />

unvernünftigen Satz: „Wen Gott am meisten liebt, <strong>de</strong>n holt er am frühesten zu sich in <strong>de</strong>n<br />

Himmel.“ Ich empfand dies <strong>als</strong> contradictio in se, <strong>de</strong>nn es steht doch geschrieben, Gott sei ein Gott<br />

<strong>de</strong>s Lebens <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s. Aber gut, das Lebendige im Himmel konnte ungleich vielfältiger<br />

sein <strong>als</strong> unser manchmal trübes Er<strong>de</strong>ndasein. Aber ich hoffte nicht, dass Gott mich sehr liebte,<br />

wenn es um die Konsequenz wäre, dass ich schnell zu ihm musste. Ich hätte das egoistisch von Gott<br />

gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wusste, dass Gott kein Egoist sein konnte <strong>und</strong> es auch gar nicht nötig hatte, ein<br />

solcher zu sein. Ich kam zu <strong>de</strong>m Schluss, dass ein solcher Unfall letztlich Zufall sein muss, wenn es<br />

auch Faktoren gibt, die ihn fast <strong>de</strong>terminieren wie Dunkelheit, Unkonzentriertheit, Unsicherheit,<br />

Übermüdung, Alkoholkonsum <strong>und</strong> viele an<strong>de</strong>re mehr.<br />

Natürlich ist das Leid ein Kern <strong>de</strong>s Christentums, aber nicht das gewollte <strong>und</strong> zielgerichtet<br />

zugefügte, das erwünschte o<strong>de</strong>r erbetene, son<strong>de</strong>rn das passiv erlittene, <strong>als</strong>o das auf einen<br />

gekommene, das man zwar vielleicht hätte vermei<strong>de</strong>n können, aber nun nicht mehr abwen<strong>de</strong>n<br />

kann. <strong>Die</strong>ses Leid durch die Struktur <strong>de</strong>s Lebens ist nicht <strong>Gottes</strong> Ratschluss bzw. <strong>Wille</strong>, son<strong>de</strong>rn es<br />

ist die Konsequenz <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r von ihm geschaffenen Daseinsstruktur gelegenen Faktoren, die er<br />

gewollt hat, da er <strong>de</strong>n Menschen <strong>als</strong> biologische Höchstform <strong>de</strong>s Lebens gewollt hat <strong>und</strong> nicht<br />

einfach zufrie<strong>de</strong>n war mit einem min<strong>de</strong>rwertigen Apparätchen wie ein Roboter, an <strong>de</strong>m wir im<br />

Augenblick basteln, das aber gemessen an <strong>de</strong>n göttlich-kybernetischen Daseinsstrukturen so<br />

primitiv ist wie ein Stein gegenüber einem primitiven Lebewesen. <strong>Die</strong>se Sicht, dass Gott immer <strong>und</strong><br />

ausschließlich zielgerichtet im Sinne eines theologisch-teleologischen <strong>Welt</strong>bil<strong>de</strong>s han<strong>de</strong>le, wenn es<br />

um das Individu<strong>als</strong>chicksal von Menschen gehe, ist hypertroph. Wir Menschen nehmen uns <strong>und</strong><br />

unser Dasein zu wichtig, wenn wir so <strong>de</strong>nken, ja wir sehen uns <strong>als</strong> Gott selbst, wenn wir auf dieser

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