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zur Lehrerfortbildungsveranstaltung mit Rainer Kalter 24. März 2010 ...

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| Eric Hultsch | Ethik 3 Angewandte Ethik | WS |<br />

seine Folgen aus einer Gemeinschaftsperspektive zu sehen. Schüler, die später möglicherweise<br />

am gleichen malträtierten Tisch sitzen müssen, werden sich sehr als Betroffene vorkommen. Über<br />

das Problem der "Beschädigung gemeinsamen Eigentums" und die partizipatorische Bearbeitung<br />

des Falls kann Gemeinschaftssinn erst entwickelt werden.<br />

(e) Demokratisierung als soziales Prinzip und als Lernangebot. Ein weiteres Prinzip zeigt sich im<br />

Willen der Verantwortlichen der Schule, diese zu demokratisieren. Auch wenn dies den wohl<br />

zwiespältigsten Begriff des ganzen Ansatzes darstellt, so wird darin eine ganz spezifische Transformationsart<br />

deutlich, nämlich die sehr langsame, aber wohldurchdachte Übergabe von Entscheidungsmacht<br />

an die Schüler. Demokratisierung der Lebenswelt bedeutet, dass eine Gemeinschaft<br />

selbst bestimmen darf, was im öffentlichen Diskurs (Versammlung der Gerechten Gemeinschaft)<br />

im Abstimmungsverfahren und im Ausführungswillen der Beschlüsse [243] zum Ausdruck<br />

kommt. Foren für - auch kontroverse - Argumentation und Beratung schaffen ein Bewusstsein des<br />

gemeinsam Beschlossenen, dessen Umsetzung und Anwendung und der da<strong>mit</strong> verbundenen Verantwortung.<br />

Selbstredend muss dabei das Spektrum und die Komplexität der zu behandelnden<br />

Themen auf die Altersgruppe und den Entwicklungsstand der beteiligten Schülerinnen und Schüler<br />

zugeschnitten werden, der Weg vom Erstklässler zum Abiturienten ist lang. Selbstredend kann<br />

auch eine Schule - wenigstens eine Regelschule - ihren Grundauftrag und den gesetzlichen Rahmen,<br />

in dem sie sich bewegt, nicht <strong>zur</strong> Debatte stellen; sie kann auch nichts daran ändern, dass<br />

nicht alle Kinder und Jugendlichen gern <strong>zur</strong> Schule gehen und diese als den Ort ansehen, an dem<br />

sie ihre Talente verwirklichen können. Die Koinzidenz lebensübergreifend geteilter und <strong>zur</strong> Anerkennung<br />

gebrachter Richtlinien für das Verhalten in der gemeinsamen Lebenswelt Schule ist auch<br />

in dieser Hinsicht gebunden an die Besonderheiten der jeweiligen Schule; sie ist partikulär, aber<br />

immer reflektiert auf den Hintergrund kultur- bzw. schulübergreifender, universeller Prinzipien, was<br />

in der Verantwortung der sich an der Just Community beteiligten Lehrpersonen und der Schulleitung<br />

steht. Wir sprechen vom "Orestes-Effekt" der Normentstehung, welcher darin besteht, dass<br />

die Verpflichtung gegenüber dem durch die eigene Gruppe oder kommunale Gemeinschaft geschaffenen<br />

Gesetz größer ist als gegenüber tradierten Gesetzen (Oser, 1999a, S. 358). Dies<br />

mahnt <strong>zur</strong> Vorsicht. Jeder Beschluss muss daraufhin überprüft werden, ob er dem geltenden Recht<br />

und den bisher geltenden gesellschaftlichen Regeln widerspricht. Insofern die so entstehende Demokratie<br />

in der Verantwortung der Schule steht und auf dem Boden einer partikulären Situation<br />

entsteht, ist sie relativ und unvollständig, ein zerbrechliches Gebilde; insofern sie an in der Gesellschaft<br />

geltenden oder philosophisch begründeten Normen gemessen wird, hat sie einen begrenzten<br />

Status. Das Überlieferte und Entstehende wird akzeptiert, auch wenn es niemals vollständige<br />

Geltung und eine genügend umfassende, gar universelle Rechtfertigung haben kann.<br />

Die so erstellte Demokratie der Gerechten Gemeinschaftsschule ist nicht ein strukturell von oben<br />

nach unten Auferlegtes oder Geschaffenes; sie stellt vielmehr ein zerbrechliches Gleichgewicht der<br />

entstehenden öffentlich gemachten Moralität und der durch kontroverse Aushandlung erzeugten<br />

jeweiligen Beschlussfassung dar. Es ist eine in Teilbereichen wahrgenommene und ausgeübte<br />

Macht, an der man lernen kann, wie diese in die partikulären täglichen Verhaltensmustereiner Gemeinschaft<br />

eingreift. Es ist der politisch gefärbte relevante Teil des ganzen auf Veränderung der<br />

Schulwirklichkeit von unten angelegten Wandels.<br />

Reichenbach (1999, S. 448 ff.) spricht von der Unvermeidlichkeit, dass wir als politisch Handelnde<br />

Dilettanten bleiben. Wir stehen vor der Notwendigkeit, <strong>mit</strong> einer Kultur der Imperfektion zu leben,<br />

<strong>mit</strong> der ewigen Baustelle "Demokratie", die nur durch die Wichtigkeit der diskutierten Inhalte, die<br />

Relevanz der Entschlüsse und dem Willen, diese aus der zusammengekommenen Gemeinschaft<br />

herauszuarbeiten, zusammengehalten wird. Ganz ähnlich erinnerte Mosher - neben Kohlberg ein<br />

weiterer Pionier der amerikanischen Just Community-Schulen - im Titel eines [244] Aufsatzes<br />

(1979) an ein Wort von Brogan, der autoritäre Regime <strong>mit</strong> majestätischen Schiffen verglich, die<br />

versinken, sobald sie <strong>mit</strong> Wucht auf einen Felsen laufen; dagegen: "Demokratie ist wie ein Floß.<br />

Es sinkt nie, aber, verdammt, deine Füsse sind dauernd im Wasser." Es ist im Grunde genommen<br />

nicht eine Demokratie, die entsteht, sondern ein Prozess der partikulären demokratischen Willensbildung,<br />

der so sehr im Einzelnen stecken bleibt, dass er in der Tat nur ein Übungsfeld <strong>zur</strong> Erfah-<br />

| Pädagogische Hochschule Steiermark | Materialbox | Seite 24 von 80 |

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