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Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

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Einleitung<br />

Leistungsgesellschaft, wie es die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland sein möchte, definiert<br />

sich gerade über das Sinnbild <strong>des</strong> möglichen <strong>Aufstieg</strong>s von „ganz unten“.<br />

Der Soziologe Michael Hartmann hat das „Mythische“ dieser Vorstellung kürzlich<br />

empirisch für das ausgehende 20. Jahrhundert nachgewiesen. 32 In Anlehnung an<br />

diesen Befund soll unter anderem gezeigt werden, weshalb es vom 18. bis ins 21.<br />

Jahrhundert hinein so schwer für <strong>Aufstieg</strong>sambitionierte von „ganz unten“ war<br />

und ist, in eine wirklich gehobene berufliche Laufbahn einz<strong>um</strong>ünden bzw. eine<br />

wirklich exponierte gesellschaftliche Position einzunehmen. Damit erhält die Untersuchung<br />

zweifelsohne eine gewisse politische Brisanz. Denn auf der Grundlage<br />

der autobiografischen Texte lässt sich aufzeigen, dass es eine auffällige historische<br />

Kontinuität von besonderen Erlebnissen und Problemen sozial Aufsteigender<br />

gerade in Deutschland gibt. Trotz der begrenzten Anzahl von Fallgeschichten, die<br />

im Rahmen einer qualitativen Forschungsarbeit eingehend behandelt werden können,<br />

lassen sich über die individuellen Erfahrungen der Protagonisten hinaus allgemeine<br />

Strukturbedingungen und kollektive mentale Befindlichkeiten erfassen,<br />

die für die jeweiligen Epochenabschnitte konstitutiv waren. Im Vergleich der autobiografischen<br />

Erzählungen aus allen drei Zeitabschnitten hat sich herausgestellt,<br />

dass sozial Aufsteigende mit bestimmten Kränkungen und Zurückweisungen,<br />

sozialstrukturellen Barrieren sowie sozialen Förderungs- und Ausschlussmechanismen<br />

über die historische Zeit wie über die eigene Lebenszeit hinweg immer<br />

wieder konfrontiert werden. Trotz Bildungsreform der 1960er Jahre, Studentenbewegung,<br />

BAföG-Einführung, Zivilisierungs- und Demokratisierungsprozessen<br />

gerade in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts lässt sich eine Kontinuität <strong>des</strong><br />

Abweisens und Ausschließens von nicht-etablierten Bevölkerungsgruppen bis in<br />

die Gegenwart hinein erkennen. Die soziologische Bildungs- und Mobilitätsforschung<br />

hat dies schon seit den 1960ern nachgewiesen. Einige Jahre vor PISA I<br />

(2000) 33 ist dieser Befund in den 1990ern erneut in einer ganzen Reihe von Stu-<br />

zugesteht (ebd., S. 195), wird dabei allerdings ein sehr heterogenes autobiografisches Quellenmaterial<br />

behandelt (Biografien von Handwerksburschen, Arbeitern, sozialen Aufsteigern, Gefängnisinsassen<br />

usw.). So lassen sich einige soziale Mechanismen, auf die Bergmann eingeht, nur sehr bedingt generalisieren.<br />

Die <strong>des</strong> Öfteren erwähnten Stigmatisierungen und Selbststigmatisierungen etwa können je<br />

nach Herkunfts- und Sozialgruppierung der Biografieträger von höchst unterschiedlicher Qualität<br />

sein. Sie wirken sich daher auch sehr unterschiedlich auf das Selbstwertgefühl und die Selbstbeschreibung<br />

aus. Für eine Generalisierung eignet sich z.B. eher die folgende Erkenntnis Bergmanns<br />

(ebd., S. 192): „In den geschilderten Lebensgeschichten finden sich auffallend viele Brüche und<br />

Sprünge […].“<br />

32 Hartmann 2002.<br />

33 Lauterbach/Becker 2004, S. 429, finden die „Wirkung von PISA-2000 in der Öffentlichkeit und<br />

Wissenschaft“ denn auch „sehr verwunderlich“. „Denn die immer wieder auffälligen Leistungsschwächen<br />

und sozial selektiven Weichenstellungen <strong>des</strong> deutschen Bildungssystems sind Bildungsforschern<br />

keineswegs unbekannt, und sie wurden auch immer wieder angemahnt – nur fanden die<br />

Befunde ka<strong>um</strong> Gehör und schon gar nicht eine derartige Aufmerksamkeit, dass daraus bedeutsame<br />

bildungspolitische Konsequenzen gefolgt wären.“<br />

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