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Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

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<strong>Figuration</strong> <strong>des</strong> <strong>Phänomens</strong> <strong>sozialer</strong> <strong>Aufstieg</strong> <strong>um</strong> 1800<br />

die Classe durfte, <strong>um</strong> mich zu einer Lebensart zu bequemen wovon ich mich dereinst<br />

als ein nützlicher Bürger nähren konnte, alleine die Lust zur Schule war in<br />

mir zu stark eingewurzelt“ 46). Weitere Geschwister seien ja noch zu versorgen,<br />

erklärte man ihm. Und der Vaterbruder, als Pfarrer selbst ein Aufsteiger, verweigerte<br />

Johann ein in seiner Obhut stehen<strong>des</strong> Stipendi<strong>um</strong>, indem er auf ein altbekanntes<br />

Sprichwort zurückgriff:<br />

„Schuster bleibe bei deinem Leist, und Schneider bei deiner Scheer“ 47 .<br />

Alle Bemühungen der Lehrer („meinen beiden Beförderern“, „mein Wohlthäter“<br />

48) konnten nichts daran ändern, dass der offenkundig begabte Junge von<br />

einer Gelehrtenkarriere Abschied nehmen und sich in das Schneidermetier <strong>des</strong><br />

Vaters einreihen musste. Wie eine Art Naturgesetz kommt hier in altbekannter<br />

Form die Selbstrekrutierung <strong>des</strong> väterlichen Berufsstan<strong>des</strong> z<strong>um</strong> Tragen. Johanns<br />

Gegenwehr war anfangs heftig, aber er versuchte sich zu arrangieren, wobei er<br />

mitunter über seine musischen Interessen einen inneren Ausgleich zu finden hoffte<br />

(„Wenn mir nun bisweilen die Grillen im Kopf kamen, so nahm ich meine Zuflucht<br />

zu meinem Klavier“ 49). Allerdings zog es ihn im Anschluss selbst als wandernden<br />

Gesellen noch eher zu einigen „Studiosis“ 50, die ihm auf dem Weg begegneten,<br />

als zu seinen Handwerkskollegen. Die bereits erwähnte Bildebewegung<br />

sozial Ambitionierter zeichnet sich hier als Figur bereits deutlich ab: Die eigentlich<br />

an der elterlichen Lebensform orientierte und damit gesellschaftlich vorgezeichnete<br />

Laufbahn der Kinder erhält für eine gewisse Zeit einen anderen Akzent, dem<br />

die Heranwachsenden meistens sehr bereitwillig große Aufmerksamkeit schenken.<br />

Der damit überwiegend einhergehenden Richtungsverschiebung ihrer weiteren<br />

Zielsetzung ist dann ka<strong>um</strong> mehr entgegenzusteuern, es sei denn mit Repressionen<br />

von außen („leidet er doch den Zwang“ 51). Wie zu sehen sein wird, handelt es sich<br />

in der Regel <strong>um</strong> eine soziale, berufsbezogene Verschiebung, die direkt an eine sich<br />

verändernde Leibrelation gekoppelt ist: den Wechsel von einer handwerklich-manuellen<br />

Tätigkeit in ein eher geistig-kognitives Betätigungsfeld.<br />

Auch in der Folge wird Johann sich noch <strong>des</strong> Öfteren bemühen, über den Schneiderberuf<br />

hinauszugelangen. Als Hochzeitslader und Leichenbitter verdient er z<strong>um</strong>in<strong>des</strong>t<br />

etwas besser. Und kurzzeitig kann er sogar für einen Adligen als Bedienter,<br />

Schreiberling und Vorleser („Haussekretär“ 52) wirken. Der ‚Bildungstrieb’<br />

(„starken Trieb“ 53) bleibt ihm stets erhalten: Bei Rückschlägen sucht er Zuflucht<br />

am Klavier, im Theater oder in der Lektüre von Büchern. Und mit seinen Latein-<br />

46 Händler, 1, 1798, S. 10 u. 14f.<br />

47 Händler, 1, 1798, S. 21.<br />

48 Händler, 1, 1798, S. 15f.<br />

49 Händler, 1, 1798, S. 24.<br />

50 Händler, 1, 1798, S. 31.<br />

51 Händler, 1, 1798, S. 25.<br />

52 Händler, 1, 1798, S. 111.<br />

53 Händler, 1, 1798, S. 92.<br />

49

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