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Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

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Einleitung<br />

einen für seine soziale Herkunft ganz ungewöhnlichen Weg beschreiten. Er wird<br />

nicht nur Tagebuch schreiben, sondern auch einer Art Lesesucht verfallen. Eine<br />

Lesegesellschaft wird ihn als Mitglied aufnehmen. Er wird sich dazu überreden<br />

lassen, seine Lebensgeschichte niederzuschreiben. Eines Tages wird er sich zudem<br />

als „Dorfdramatiker“ versuchen, <strong>um</strong> dem verehrten Shakespeare – in den begrenzten<br />

Möglichkeiten seiner sozialen Situation – nachzueifern. Über diesen<br />

englischen Klassiker verfasst er sogar eine Abhandlung, 5 die zwar schlicht formuliert<br />

ist, die jedoch Eindrücke und Erkenntnisse widerspiegelt, die nicht allzu weit<br />

von zeitgenössischen Gelehrtenarbeiten entfernt sind. Dennoch: Bräker bleibt ein<br />

Außenseiter, ein Fremdling sowohl unter seinesgleichen, die ihn als Narren betrachten,<br />

als auch unter den Bürgerlichen der Lesegesellschaft, die in ihm immer<br />

auch den „armen Mann“ wahrnehmen. Bräker gelingt kein wirklicher sozialberuflicher<br />

Positionswechsel, denn er bleibt bis zuletzt in seiner ländlichen<br />

Schweizer Heimat Toggenburg ein Dörfler, der zwar seinen Horizont durch Erfahrungen<br />

in der Natur und beim preußischen Militär, durch Bücherlektüre, Reisen<br />

usw. erheblich erweitert hat. Da er aber nie einen institutionalisierten Bildungsweg<br />

eingeschlagen hat, etwa über eine höhere Schulbildung oder durch eine<br />

militärische Karriere, oder besser: Da die Ständegesellschaft dieser Zeit für einen<br />

durchaus aufstrebenden Mann aus so einfachen Verhältnissen noch keine Laufbahnen<br />

bereitgestellt hat, kann von einem sozialen <strong>Aufstieg</strong> nicht die Rede sein.<br />

Bräker ist allenfalls ein Bildungsaufsteiger, also jemand, der sich ein ungewöhnliches<br />

kulturelles Kapital anzueignen vermochte.<br />

Es bot sich an, hier im Voraus zur Veranschaulichung der Projektarbeit ein spezifisches<br />

biografisches Beispiel herauszugreifen, in dem schon mehrere Aspekte<br />

zusammengehen, die im Hinblick auf das zentrale Forschungsinteresse vielversprechende<br />

Erkenntnisse erwarten lassen: z.B. eine Vielzahl von außerinstitutionellen<br />

Bildungskomponenten, das Ausscheren aus dem Herkömmlichen, die starren<br />

und nicht selten hemmend wirkenden Formalitäten <strong>des</strong> sozialgeschichtlichen<br />

Kontextes usw. Das Beispiel verweist zudem bereits auf einige methodologische<br />

Aspekte <strong>des</strong> Forschungsprojekts.<br />

1.2 Zur rahmenden Methode<br />

Es handelt sich <strong>um</strong> eine pädagogisch-historische Studie, die exemplarisch drei<br />

Epochenabschnitte (<strong>um</strong> 1800, <strong>um</strong> <strong>1900</strong> und <strong>um</strong> 2000) untersucht, <strong>um</strong> vergleichen<br />

und somit Aussagen über eine historische Entwicklung machen zu können. Dabei<br />

heißt „<strong>um</strong> 1800“ z.B.: Die grundlegenden Quellentexte hierfür entstanden in einem<br />

Toleranzbereich zwischen 1780 und 1820; entsprechende Toleranzen gelten<br />

für „<strong>um</strong> <strong>1900</strong>“; für „<strong>um</strong> 2000“ wird ein etwas anders gelagerter Toleranzbereich<br />

5 Bräker 1998a.<br />

7

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