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Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

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<strong>Figuration</strong> <strong>des</strong> <strong>Phänomens</strong> <strong>sozialer</strong> <strong>Aufstieg</strong> <strong>um</strong> 1800<br />

Gebotstafeln, die Normen und Verhaltensformen der oberen Schichten als für sich selbst verbindlich<br />

an, ohne sich mit der gleichen Ungezwungenheit und Selbstverständlichkeit daran halten zu<br />

können, wie diese. Es ist dieser eigentümliche Widerspruch zwischen der Oberschicht in ihnen<br />

selbst, repräsentiert durch ihr eigenes Über-Ich, und ihrem Unvermögen, diese Forderung an sich<br />

selbst zu erfüllen, es ist diese beständige, innere Spannung, die ihrem Affektleben und ihrem Verhalten<br />

seinen besonderen Charakter gibt.“ 14<br />

Der „eigentümliche“ innere „Widerspruch“, den Elias hier freilegt, wird im Folgenden<br />

bei den Fallanalysen – übrigens bis ins späte 20. Jahrhundert hinein – immer<br />

wieder von besonderem Interesse sein. Dabei wird sich allerdings zeigen, dass<br />

diese innere Zerrissenheit auch bei den behandelten Aufsteigenden aus bildungsfernen<br />

Schichten anzutreffen ist. Die Mechanismen, die Elias hier vorwiegend an<br />

dem Gegensatzpaar Adel/Berufsbürgert<strong>um</strong> beleuchtet, gelten in ähnlicher Weise etwa<br />

für das Gegensatzpaar Bildungsbürgert<strong>um</strong>/Kleinbürgert<strong>um</strong>. Aber Elias hat mit seinem<br />

Hinweis auf die Verhaltensdeformationen, die mitunter in ambitiösen „kleinbürgerlich-mittelständischen<br />

Kreisen“ begegnen, ja bereits auf einen erweiterten Kreis<br />

von <strong>Aufstieg</strong>sbegierigen angespielt. Wie im Folgenden z<strong>um</strong>in<strong>des</strong>t angedeutet wird,<br />

dehnen sich die spezifischen <strong>Aufstieg</strong>smechanismen über die Jahrhunderte hinweg<br />

auf immer weitere soziale Gruppierungen bzw. Milieus aus, die <strong>um</strong> <strong>Teil</strong>habe an<br />

der Gesellschaft ringen.<br />

Aufsteigende haben das Problem, so lässt sich zusammenfassend sagen, dass sie<br />

sich zu einem <strong>Teil</strong> mit dem Verhaltenskanon und der Lebenspraxis der oberen<br />

Schicht(en) identifizieren, sich aber zu einem anderen <strong>Teil</strong> nicht mit diesen Vorgaben<br />

zurechtfinden können. Im Wesentlichen handelt es sich <strong>um</strong> ein Dilemma,<br />

das aus ungleichen Startbedingungen resp. aus der Uneinholbarkeit <strong>des</strong> Höherstehenden<br />

resultiert. Für den Aufstrebenden erscheint es allerdings als sein eigenes<br />

„Unvermögen, diese Forderung an sich selbst zu erfüllen“. Das beständige Anschlusshalten-Wollen,<br />

das wohl begleitet wird von einem z<strong>um</strong>in<strong>des</strong>t vagen Empfinden<br />

für die Vergeblichkeit dieses Vorhabens, führt zu einem dauerhaften inneren<br />

Angespanntsein. Elias sieht das Kernproblem der Aufsteigenden also in dem<br />

dialektischen Verhältnis zwischen einem Wollen und einem Nicht-Können. Bei<br />

einigen der im Folgenden vorgestellten Fallgeschichten wird überdies mitunter ein<br />

Widerstandspotenzial im jeweiligen Selbst hervortreten. Ein <strong>Teil</strong> <strong>des</strong> Selbst scheint<br />

sich nämlich gleichzeitig gegen eine vollständige Anpassung bzw. Assimilation an<br />

die obere Schicht zu sträuben. Das Wechselverhältnis von Wollen und Nicht-<br />

Können wird hier also noch <strong>um</strong> ein Nicht-Wollen <strong>des</strong> Subjekts ergänzt.<br />

14 Elias, Prozeß, 1997, 2, S. 437.<br />

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