25.10.2012 Aufrufe

Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Figuration</strong> <strong>des</strong> <strong>Phänomens</strong> <strong>sozialer</strong> <strong>Aufstieg</strong> <strong>um</strong> 1800<br />

schwächten leiblich-körperlichen Eingebundenheit in eine vorgegebene gesellschaftliche<br />

Position tritt bei ihm deutlich zutage. Insofern ist in seinen Text ein<br />

gesellschaftskritischer Akzent eingelagert, der bei den analysierten weiblichen<br />

Autobiografien noch ka<strong>um</strong> zur Entfaltung kommen kann.<br />

Christina Gabriel<br />

Christina Gabriel19 (1766-1835) legte in einem Notizbuch20, das erst im 20. Jahrhundert<br />

wiederentdeckt werden sollte, die geradezu deprimierend wirkende Geschichte<br />

ihrer ersten Lebenshälfte nieder. 21 Die Autobiografin möchte, wie es in<br />

der Einleitung heißt, ihr „ganßes herze ausschüten“, sich „nur ergießen, und meine<br />

lebens geschichte hinschreiben in der Einfalt und der wahrheit“. 22 Sie konzipiert<br />

ihre Biografie gewissermaßen als eine Abstiegsgeschichte. Die Metzgertochter<br />

hatte als Bedienstete („als kammerjungfer“) adliger Herrschaften einen sich später<br />

als völlig verantwortungslos erweisenden Hausangestellten resp. Bediensteten<br />

höheren Ranges kennengelernt, mit dem sie eine zutiefst unglückliche Ehe verleben<br />

sollte („dieser solte mich unglücklich machen“, „o. verhängniß“ 23). Aus Archivmaterial<br />

hat die Forschung erschließen können, dass Gabriel mit 36 Jahren<br />

noch eine Art Zusatzausbildung als Hebamme erhalten hatte. Dies geschah, nachdem<br />

sie vom Gatten längst betrogen und verlassen worden war. Der relative berufliche<br />

<strong>Aufstieg</strong> – sie füllte in der Folge eine Position als Hebamme in städtischen<br />

Diensten (in Arnsberg) aus (dieser Beruf war schon klar als eine institutionalisierte<br />

Instanz markiert) – wird jedoch nicht mehr zur Darstellung gebracht. Das autobiografische<br />

Fragment, das die Autorin im Alter von 63 Jahren mitten im Satz<br />

abbrechend hinterließ, verbleibt somit bei einer zutiefst negativen biografischen<br />

Bilanzierung. Die zweite, erfolgreiche Lebenshälfte ist praktisch ausgeblendet. So<br />

lässt sich immerhin darüber spekulieren, ob die Autorin diesen Part der Biografie<br />

19 Da die Titel der Autobiografien und gegebenenfalls weiterer selbstverfasster Texte schon an sich<br />

etwas über die AutobiografInnen/AutorInnen aussagen, werden sie in den Fallanalysen bei der<br />

ersten Nennung in der Anmerkung vollständig aufgeführt: Gabriel, Christina (1999): Meine Lebensgeschichte.<br />

Die autobiographische Lebensbeschreibung einer Dienstmagd, Näherin und Hebamme<br />

im Herzogt<strong>um</strong> Westfalen <strong>um</strong> das Jahr 1800. Dok<strong>um</strong>entation eines bewegten Frauenlebens mit<br />

zeitgeschichtlichen Hintergründen, [bearb. von Christiane Vollmer, hg. im Auftrag der Stadt Arnsberg<br />

und <strong>des</strong> Arnsberger Heimatbun<strong>des</strong> e. V. von Michael Gosmann] Arnsberg.<br />

20 Zu den Besonderheiten dieser Schrift gehört, dass die Verfasserin sie verteilt auf einen Zeitra<strong>um</strong><br />

von etwa acht Jahren in einer Art Notizbuch niedergeschrieben hat, was eigentlich dafür spricht,<br />

dass sie nur für den Privatgebrauch (für die Autorin selbst und ihre Kinder) gedacht war. Auffällig ist<br />

allerdings, dass die Autorin an einigen Stellen implizit, aber auch explizit eine virtuelle Leserschaft<br />

anspricht, vgl. dazu etwa Gabriel 1999, S. 41 u. 75, also wohl doch eine Hoffnung hatte, dass „Meine<br />

lebensgeschigte“ irgendwann einmal einem breiteren Publik<strong>um</strong> zugänglich sein würde.<br />

21 Ihre Erzählung bricht mitten im Satz ab, ist also Fragment geblieben.<br />

22 Gabriel 1999, S. 17.<br />

23 Gabriel 1999, S. 21.<br />

43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!