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Teil 2 Figuration des Phänomens sozialer Aufstieg um 1900

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<strong>Figuration</strong> <strong>des</strong> <strong>Phänomens</strong> <strong>sozialer</strong> <strong>Aufstieg</strong> <strong>um</strong> 1800<br />

sowohl „in ihrer gesellschaftlichen Existenz“ als auch „in ihrem Verhalten, in<br />

ihren Ideen und Idealen, selbst widerstrebend, von der höheren Schicht sehr abhängig“.<br />

Sie orientieren sich an der Verbotstafel, der Affektregulierung und dem<br />

Verhaltenscode der oberen Schicht, die dieses Modell selbst schon in einem viel<br />

höheren Maß durchgeformt und internalisiert hat. So kommt es nach Elias zu<br />

„einer der merkwürdigsten Erscheinungen im Prozeß der Zivilisation“:<br />

„Die Menschen der aufsteigenden Schicht entwickeln in sich ein ‚Über-Ich’ nach dem Muster der<br />

überlegenen und kolonisierenden Oberschicht. Aber dieses scheinbar nach dem Modell der Oberschicht<br />

gebildete Über-Ich der Aufsteigenden ist genau besehen in vieler Hinsicht recht verschieden<br />

von seinem Modell. Es ist unausgeglichener und rigoroser. Es verleugnet niemals die gewaltige<br />

Anspannung, die der individuelle <strong>Aufstieg</strong> erfordert; und es verleugnet noch weniger die ständige<br />

Bedrohung von unten, wie von oben, das Kreuzfeuer von allen Seiten, dem die individuell Aufsteigenden<br />

ausgesetzt sind.“ 9<br />

Wenn Elias hier davon spricht, dass das Über-Ich der Aufsteigenden „unausgeglichener“<br />

ist, dann heißt das z<strong>um</strong> einen, dass das Verhalten der Aufsteigenden in<br />

sich „noch ungeformt“ 10 wirkt. Z<strong>um</strong> anderen ist es auch wesentlich „rigoroser“.<br />

Im Gefühl der eigenen Unterlegenheit gegenüber der Oberschicht und im Wissen<br />

<strong>um</strong> die andrängende Konkurrenz von unten wird dem Aufstrebenden eine noch<br />

stärkere Selbstkontrolle abverlangt. Die „gewaltige Anspannung“ stellt gewissermaßen<br />

den Preis dar, den der Aufsteigende für seine Ambitionen zu zahlen hat.<br />

„Bei den meisten Menschen der aufstiegsbegierigen Schichten führt das Bemühen [<strong>um</strong> völlige Assimilation<br />

nach oben] zunächst unvermeidlich zu ganz spezifischen Verkrümmungen <strong>des</strong> Bewußtseins<br />

und der Haltung.“ 11<br />

Das Verhaltensrepertoire <strong>des</strong> Aufsteigenden wird in der Regel immer von der<br />

Schicht, die er sich als Maßstab nimmt, abweichen. Man wird dem Aufstrebenden<br />

immer die Anstrengung ansehen, die ihm sein Vorhaben abverlangt. Der Ehrgeiz<br />

schlägt sich in Denken und Haltung nieder.<br />

Wie Elias ausführt, finden sich solche Deformationsmerkmale („ganz spezifische[]<br />

Verkrümmungen“) vorwiegend „in den kleinbürgerlich-mittelständischen Kreisen“:<br />

„als ‚Halbbildung’, als Anspruch etwas zu sein, was man nicht ist, als Unsicherheit<br />

<strong>des</strong> Verhaltens und <strong>des</strong> Geschmacks, als ‚Verkitschung’ nicht nur der<br />

Möbel und Kleider, sondern auch der Seelen“.<br />

„Alles das bringt eine soziale Lage z<strong>um</strong> Ausdruck, die zur Imitation von Modellen einer anderen,<br />

gesellschaftlich höher rangierenden Gruppe drängt. Sie gelingt nicht; sie bleibt als Imitation von<br />

Modellen erkennbar. Erziehung, Lebensstandard und Lebensra<strong>um</strong> der aufsteigenden und der Oberschicht<br />

sind in dieser Phase noch so verschieden, daß der Versuch, die Sicherheit <strong>des</strong> Verhaltens und<br />

<strong>des</strong>sen Abrundung nach dem Schema der Oberschicht zu erreichen, bei den meisten Menschen der<br />

aufsteigenden Schicht zu einer sonderbaren Falschheit und Unförmigkeit <strong>des</strong> Betragens führt, hinter<br />

9 Elias, Prozeß, 1997, 2, S. 435f.<br />

10 Elias, Prozeß, 1997, 2, S. 435.<br />

11 Elias, Prozeß, 1997, 2, S. 436.<br />

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