Steinkreis 231 - Das Volk von Tir Thuatha
Steinkreis 231 - Das Volk von Tir Thuatha
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<strong>Steinkreis</strong> <strong>231</strong><br />
Der Klang der Welt<br />
„Die Wegzehrung geht uns aus, die Männer<br />
sind erschöpft. Der Tod ist in unserer<br />
Mitte. Große Wölfe und weiße Bären werden<br />
uns umzingeln, weil sie unsere Schwäche<br />
wittern. Morgen haben wir nicht einmal<br />
mehr Feuer, um uns zu schützen …“ Craig<br />
hielt inne und suchte Martells Blick festzuhalten.<br />
„Hörst du mich? Wir werden sterben.“<br />
„Laß ihn zufrieden“, knurrte Oda.<br />
Craig aber achtete nicht auf sie. „Wir<br />
müssen uns entscheiden, jetzt!“ Er wies auf<br />
Jotagrim; der Atem des Todgeweihten ging in<br />
kurzen Stößen. „Sieh! Wir werden ihn verlieren,<br />
das ist gewiß. Mehr werden folgen …“<br />
Ganz leicht umwölkte sich Martells Blick,<br />
doch er antwortete immer noch nicht. Da<br />
stieß ihn Craig vor die Brust und rief: „Steh<br />
auf, Mann! Steh auf, denn das bist du doch<br />
jetzt: ein Mann!“<br />
Vor Überraschung riß Martell die Augen<br />
auf und schnappte nach Luft. Noch schneller<br />
jedoch sprang Oda in die Höhe und drängte<br />
den Bolger so hart beiseite, daß er umfiel.<br />
„Wage es nicht, ihn anzurühren!“ brüllte sie<br />
hitzig und ihre Hand fuhr zum Knauf ihres<br />
Schwertes.<br />
Craig aber blieb ruhig und richtete sich<br />
auf. Beschwichtigend hob er die Hände in<br />
die Höhe. Die Männer raunten verwundert.<br />
Wieder richtete der Krieger das Wort an<br />
den verblüfften Jungen: „Wach auf! Bist du<br />
nicht der, der die Verwundeten nicht<br />
zurücklassen wollte, obwohl du wußtest, daß<br />
es der Brauch der Mainthir auf Kriegszug<br />
ist? Hast du nicht Rache geschworen? Wo<br />
ist nun dein Zorn?“ Er schnaubte ärgerlich.<br />
„Du bist nicht der einzige, der etwas verloren<br />
hat. Viele haben ihr Leben gelassen –<br />
für dich! Wir sind bis hierher gekommen –<br />
deinetwegen. Die Herrin Uisgmaen ist deinetwegen<br />
mit uns ausgezogen, dein Vater<br />
hat dich zum Thingur geführt. Die Fir<br />
Goth haben dich beleidigt, doch dein Vater<br />
ist aufgestanden, um für dich zu kämpfen!“<br />
Der Krieger schnaufte laut. „Du wirst der<br />
Fürst unseres <strong>Volk</strong>es sein! Und haben die<br />
Clanthinn nicht das Zeichen der Götter<br />
bejubelt und gesagt, es gelte dir?“<br />
Jetzt wandte Craig sich <strong>von</strong> Martell ab<br />
und sah in die Runde. <strong>Das</strong> letzte Licht der<br />
Dämmerung ließ seine Züge verschwimmen,<br />
nur seine Augen leuchteten weiß, als er die<br />
Gemeinschaft fragte: „Ist das derjenige, dem<br />
ihr folgen wollt? Ist er es wert? Wollt ihr<br />
einem weinenden Kind die Treue halten?<br />
Wollt ihr für ihn sterben? Er kämpft nicht<br />
für euch! Schaut ihn an! Er kämpft nicht<br />
einmal für sich!“<br />
Unruhe kam auf. Oda drückte den Rücken<br />
durch – ein Wunder, daß sie nichts unternahm.<br />
Ich mußte sichergehen, also trat ich<br />
neben sie.<br />
„So verzagt war noch keiner der Mainthir.<br />
Wir sind stark und guten Mutes. Wir lachen<br />
dem Tod ins Gesicht. Wir singen Lieder für<br />
die Toten, aber wir jammern nicht. Wir sind<br />
die Mainthir! Wir jammern nicht!“ Dumpf<br />
gemurmelter Beifall begleitete Craigs Rede.<br />
Nach ein paar Atemzügen wandte er sich<br />
Martell zu: „Du bist der Sohn eines Königs!<br />
Pippin war ein großer Mann, er sah die<br />
Gefahr und wich ihr nicht aus. Er war stark<br />
und mutig, er säte Furcht in die Herzen seiner<br />
Feinde. Er geizte nicht mit seinem<br />
Leben: er gab es hin und starb. Ich preise<br />
seinen Namen!“ rief er. „Pippin, Clanthinnheld!“<br />
Lauter wurde der Beifall. „Pippin!<br />
Schlachtenkönig!“ Abermals stimmten die<br />
Männer zu. „Pippin! Stolz seines Gottes!“<br />
Wahr gesprochen <strong>von</strong> Craig, dem Bolger,<br />
der sich verneigte vor der Tapferkeit des einstigen<br />
Feindes, welcher die Götter der <strong>Thuatha</strong><br />
nicht geachtet hatte, und selbst im Angesicht<br />
der größten Niederlage nicht den Mut<br />
verloren hatte, der treu geblieben war und<br />
selbst das Wohl jener im Sinn behalten hatte,<br />
die ihn haßten.<br />
Für einen kurzen Augenblick schwieg<br />
Craig. Er sah mich an und senkte die Lider.<br />
Nun mußte ich achtgeben.<br />
„Doch was tust du?“ brüllte er, so plötzlich<br />
wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel.<br />
„Du zagst und jammerst! Deine Hand ist<br />
kraftlos, dein Geist ist voll Furcht. Du willst<br />
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