Zeitschrift für Islamische Studien
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Mukadder Tuncel: Die Gottessohnschaft von ʿUzayr<br />
dankengut darstellen; somit werden sie diesbezüglich <strong>für</strong> die leibliche Verwandtschaft<br />
mit Gott und demgemäß im wörtlichen Sinn gebraucht. Der Ausdruck ibn<br />
Allāh, der <strong>für</strong> den „Sohn Gottes“ steht, ist zwei Mal in ein und demselben Vers<br />
(9:30) zu finden. Die meisten muslimischen Koranexegeten gehen von der wörtlichen<br />
Bedeutung aus und setzen die Anschauung und den Ausdruck „Sohn Gottes“<br />
der Juden mit dem der Christen und der Polytheisten gleich. Öztürk zufolge<br />
hebt die äußere Form des Verses die wörtliche Bedeutung hervor. 41 Manche<br />
Kommentatoren erläutern den Ausdruck ibn Allāh nur in Bezug auf die Christen.<br />
Bezüglich der Juden geben sie keine Erklärungen, vermutlich aufgrund dessen,<br />
dass sie sich nicht sicher waren, ob er wörtlich oder metaphorisch gemeint ist;<br />
oder aber auch, weil <strong>für</strong> sie die wörtliche Bedeutung selbstverständlich ist, sodass<br />
sie keine weiteren Erläuterungen <strong>für</strong> nötig hielten. 42 Für einige Koranexegeten<br />
wie Riḍā könnte der Ausdruck jedoch ebenso im übertragenen Sinn verstanden<br />
werden, da es bei Juden üblich sei, wichtige Personen wie David oder Israel<br />
zur Hochschätzung als „Sohn Gottes“ zu bezeichnen. 43 Den gleichen Ausdruck –<br />
nur im Plural – benutzen die Juden und die Christen in 5:18, um ihre besondere<br />
Stellung bei Gott auszudrücken; somit gebrauchen sie den metaphorischen Sinn.<br />
Falls die gleiche Formel, insbesondere von der gleichen Glaubensgemeinschaft,<br />
metaphorisch gebraucht wird, so könnte dieser Ausdruck in 9:30 ebenfalls metaphorisch<br />
gedeutet werden. Wird die Passage 9:30 im Zusammenhang mit dem<br />
nächsten Vers betrachtet, sind folgende Punkte festzustellen:<br />
a) Beide Verse weisen eine Parallelität in ihrer Satzstruktur auf: Während im ersten<br />
Vers die Personen ʿUzayr und al-Masīḥ mit dem „Sohn Gottes“ gleichgestellt<br />
werden, setzt der zweite Vers die Gelehrten, die Mönche und Christus mit<br />
dem Herrn gleich. Falls aufgrund der äußeren Form des Verses die wörtliche Bedeutung<br />
bevorzugt wird, entsteht ein Problem; der Vers sagt nämlich dann aus,<br />
dass Juden und Christen ihre Gelehrten anbeten. Klassische Korankommentatoren<br />
nahmen die Überlieferung von ʿAdiyy ibn Ḥātim 44 zur Hilfe. Sie erklärt, dass<br />
das „Herr-Nehmen“ der Gelehrten eine hohe Gehorsamkeit ihnen gegenüber bedeutet,<br />
während das „Herr-Nehmen“ von Jesus dessen Anbetung meint. Wird<br />
diese Erläuterungsweise auch <strong>für</strong> 9:30 angewandt, kann es <strong>für</strong> sicher gehalten<br />
werden, dass „Sohn Gottes“ bei den Juden nicht wörtlich gemeint ist.<br />
b) Aš-Šawkānī erläutert den Vers ebenfalls im Zusammenhang mit Vers 9:31. Er<br />
interpretiert die Verse folgendermaßen: Das Anhängen des Christus am Satzende<br />
unterstreicht seine besondere Stellung <strong>für</strong> die Christen und dessen Anbetung. Die<br />
Nicht-Erwähnung von ʿUzayr als hochgeschätzte Person zeige, dass ʿUzayr von<br />
den Juden nicht angebetet wird. So gilt „Sohn Gottes“ im vorigen Vers <strong>für</strong> die<br />
Juden als Ausdruck von dessen Hochschätzung. 45<br />
c) Kann der Begriff al-aḥbār mit den jüdischen Schriftgelehrten gleichgesetzt<br />
werden, ist es möglich, dass in al-aḥbār u. a. auch ʿUzayr, welcher in der jüdischen<br />
Tradition ein großer Schriftgelehrter ist, gesehen wird. Folglich haben die<br />
Juden ihm blind Gehorsam geleistet, falls das „Herr-Nehmen“ im Sinne der klassischen<br />
Erläuterung verstanden wird.<br />
Im Judentum wird der Ausdruck „Sohn Gottes“ gewöhnlich <strong>für</strong> von Gott eingesetzte<br />
Menschen, <strong>für</strong> das auserwählte Volk und einen Menschen, der den Willen<br />
Gottes zu erfüllen versucht, benutzt. Ferner wird der Messias mit diesem Ausdruck<br />
beschrieben. Die Mehrheitsmeinung geht von einer metaphorischen Bedeutung<br />
dieser Formel aus. 46 Allerdings halten Bibelforscher es <strong>für</strong> wahrscheinlich,<br />
dass die Formel in der jüdischen Bibel nicht nur metaphorisch, sondern eher<br />
wörtlich zu verstehen ist. Die metaphorische Deutung sei orthodox und reflektiere<br />
die Ansicht einer Strömung, der „Jahwe-allein-Bewegung“, die sich im Laufe<br />
der Geschichte durchsetzen und die Schriften in ihrer Überarbeitung verbreiten<br />
konnte. 47<br />
Generalisierung in der koranischen Aussage<br />
Während der Koranvers generalisiert, dass der Ausspruch der Gottessohnschaft<br />
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