Zeitschrift für Islamische Studien
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Mukadder Tuncel: Die Gottessohnschaft von ʿUzayr<br />
jemenitische Juden gewesen, die später den Islam annahmen. Auffällig ist, dass<br />
beide den anonymen Mann mit einer biblischen Person gleichsetzen, allerdings<br />
beide mit einer verschiedenen Person. Dies würde Folgendes bedeuten: Da die<br />
Gleichnisse und Geschichten im Koran allgemein und nicht detailliert beschrieben<br />
werden, enthalten sie Lücken, die durch diverse Informationen über die Person,<br />
Ortsangaben und andere Details leicht gefüllt werden können. Das gleiche<br />
Phänomen kann auch in Bezug auf die Person des ʿUzayr beobachtet werden:<br />
Die Überlieferungen über ʿUzayr scheinen zwar mit den Erzählungen von Esra<br />
übereinzustimmen. Jedoch legt Adam dar, dass auch die Gefährten des Propheten<br />
Personen im Koran, die nicht näher beschrieben werden, mit unterschiedlichen<br />
biblischen Gestalten in Verbindung gebracht haben. Dazu nimmt er das<br />
Beispiel von Idrīs: In der muslimischen Tradition ist die Meinung verbreitet,<br />
dass der biblische Henoch mit Idrīs identisch ist. Diese Ansicht stützt sich auf<br />
die Verse 56 bis 57 aus der Sure Maryam: „Und gedenke in der Schrift des Idrīs!<br />
Er war ein Wahrhaftiger (?) und ein Prophet. Und wir haben ihn an einen hohen<br />
Ort erhoben.“ Da dieser Vers berichtet, dass Idrīs „an einen hohen Ort erhoben“<br />
wurde, war es <strong>für</strong> Exegeten einfach und offensichtlich, ihn mit dem biblischen<br />
Henoch zu identifizieren, der ebenfalls in den Himmel entrückt wurde. Die hebräische<br />
Bibel berichtet jedoch auch, dass auch Elija in den Himmel entrückt wurde.<br />
Diese Information hat ihren Niederschlag ebenso in den exegetischen Werken<br />
gefunden. Den im 123. Vers der Sure aṣ-Ṣaffāt erwähnten Ilyās identifizierten<br />
Ibn ʿAbbās und Ibn Masʿūd mit Idrīs. ʿIkrima erläutert sogar, dass dieser<br />
Vers im Koranexemplar von Ibn Masʿūd folgendermaßen lautet: „Auch Idrīs<br />
[anstatt Ilyās] war (oder: ist) wirklich einer der (von Gott) Gesandten.“ 66<br />
Die Überlieferungen, nach denen einer oder einige Juden behaupteten „ʿUzayr<br />
ist der Sohn Gottes“, haben die Kommentatoren nicht daran gehindert, sich auf<br />
die Frage zu konzentrieren, aus welchem Grund Juden Esra Gottessohnschaft<br />
zuschrieben. Die von ihnen ausgeführten Überlieferungen sind zwar unterschiedlich<br />
in ihrer genaueren Begründung, allerdings treffen sie sich in einem allgemeinen<br />
Grund: Gott hat seine besondere Gnade einem Propheten wie ʿUzayr geschenkt,<br />
der jedoch von seinem Volk verkannt wurde. 67 Ferner weisen die Überlieferungen<br />
auf einen Anachronismus. Diese Tatsachen machen deutlich, dass<br />
die Überlieferungen erst später in den Vers integriert und mit ihm „harmonisiert“<br />
wurden; was Ayoub als eine „eklektische Technik“ 68 bezeichnet. 69 Außerdem<br />
beinhalten die Überlieferungen bzw. eine Überlieferung in sich sehr detaillierte<br />
und oft widersprüchliche Informationen, die einerseits biblisch und andererseits<br />
haggadisch sind; also fließen Inhalte aus zwei (oder mehreren) Quellen zusammen<br />
in eine Überlieferung ein, und diese dient dann der Erläuterung eines oder<br />
einiger Verse(s). 70<br />
c) Intratextualität<br />
Der Koran benutzt den Begriff ibn – wie es in der arabischen Sprache üblich ist<br />
und oben schon angesprochen – sowohl mit seiner wörtlichen als auch mit seiner<br />
metaphorischen Bedeutung. Den Begriff walad gebraucht er <strong>für</strong> die Inkarnation/<br />
Adoption sowie <strong>für</strong> die direkte Zeugung Gottes. Da der Ausdruck ibn Allāh nur<br />
in einem Vers (zwei Mal) vorkommt, ist es nicht einfach, herauszulesen, welche<br />
Bedeutung er genau hat. Abnāʾ Allāh, die Mehrzahlform des ibn Allāh, taucht<br />
ebenso nur einmal, in 5:18, auf und drückt das „Auserwähltsein“ der Juden und<br />
der Christen aus. Zwar be<strong>für</strong>wortet eine Ansicht, dass die Juden bzw. jüdische<br />
Quellen „Sohn/Söhne Gottes“ ebenfalls wörtlich benutzten, allerdings geht die<br />
Allgemeinheit von einer Verwendung im metaphorischen Sinn aus. Sowohl der<br />
Koran als auch seine jüdischen Adressaten könnten den Ausdruck „Sohn Gottes“<br />
auf metaphorischer Ebene gebraucht haben. Auffällig ist, dass die Juden im Koran<br />
des Öfteren einen metaphorischen Sprachstil gebrauchen (z. B. „Die Hände<br />
Gottes sind gefesselt“ (5:64)). Der Koran antwortet ihnen ebenfalls in diesem<br />
Stil („Nein! Er hat seine beide Hände ausgebreitet (…)“ (5:64)). Wiederum ist zu<br />
unterstreichen, dass der Koran den Ausdruck „Sohn Gottes“ ausschließlich negativ<br />
und nur als Behauptung der Juden und Christen in Form eines Zitates gebraucht.<br />
Während der Koran metaphorische Ausdrücke gebraucht, auch wenn sie<br />
auf Gott bezogen sind, und sich an den Sprachstil der Adressaten anpasst, be-<br />
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