Zeitschrift für Islamische Studien
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Erdal Toprakyaran: Warum jetzt? Zur Popularität des indischen Sufis Hazrat Inayat Khan in der Türkei<br />
traf der jüngere Bruder Inayat Khans, Musharraf Khan, in New York ein. Inayat<br />
Khan und seine Begleiter hielten sich zwischen 1910 und 1926 in den USA, in<br />
England, Holland, Belgien, Skandinavien, Dänemark, Frankreich, Deutschland,<br />
Russland, Italien und der Schweiz auf. Während seiner Reisen gab er Konzerte<br />
und hielt Vorträge über die indische Musik und vermehrt auch über die islamische<br />
Mystik. 5 Daraus ergab sich, dass sich die Zahl seiner am Sufismus interessierten<br />
Schüler und Schülerinnen stetig vermehrte. Im Jahre 1918 stiftete Inayat<br />
Khan gemeinsam mit seinen Schülern in London den Internationalen Sufi Orden<br />
(International Sufi Order). Diese Organisation ging später, im Oktober 1923, in<br />
die in Genf gegründete Internationale Sufi Bewegung (International Sufi Movement)<br />
ein. Nach sechzehn Jahren ununterbrochenem Aufenthalt im Westen, beschloss<br />
Inayat Khan nach Indien zurückzukehren, wo er – vier Monate nach seiner<br />
Ankunft – am 5. Februar 1927 in Delhi starb. Seine Sufi-Bewegung wurde<br />
der Reihe nach von seinem Bruder Pyaromir Mahboob Khan (1887-1948), seinem<br />
Cousin Muhammad Ali Khan (1881-1958) und schließlich von seinem jüngeren<br />
Bruder Musharraf Khan (1895-1967) geleitet. 6 Heute wird die Sufi-<br />
Bewegung Inayat Khans, die sich in verschiedene Zweige aufgespalten hat, neben<br />
anderen von seinem jüngeren Sohn, Hidayat Khan (1917-), seinem Neffen,<br />
Mahmood Khan (1927-) 7 , und seinem Enkel, Dr. Zia Khan (1971-), geleitet.<br />
3. Die Lehre Inayat Khans<br />
Die Lehre Inayat Khans enthält zum einen viele Elemente des klassischen Sufismus:<br />
Er zitiert an vielen Stellen in seinem Werk die mittelalterlichen persischsprachigen<br />
Sufi-Poeten ʽOmar Ḫayyām (gest. 1123), Farīd ad-Dīn ʽAṭṭār (gest.<br />
1220/21), Ğalāl ad-Dīn Rūmī (gest. 1273) oder Ḥāfiẓ aš-Šīrāzī (gest. 1389/90)<br />
und den wohl berühmtesten Vertreter des systematischen Sufismus, Abū Ḥāmid<br />
al-Ġazālī (gest. 1111). Ebenso oft spricht er von Sufi-Heiligen, etwa Muʽīn ad-<br />
Dīn Čištī (gest. 1230) oder Muḥammad Ġawṯ Ġwāliyōrī (gest. 1562), die in Indien<br />
sehr verehrt werden. 8<br />
Zum anderen ist die Lehre Inayat Khans geprägt von modernen Elementen. Er<br />
spricht nicht nur sehr oft über andere Religionen (Christentum, Judentum, Hinduismus,<br />
Buddhismus, Zoroastrismus, Sikhismus, Jainismus), sondern auch über<br />
Themen wie Moderne, Säkularität, Demokratie, Universalität, Menschenrechte,<br />
Feminismus, Sexualität, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Wirtschaft oder<br />
Technik. Dies hängt zunächst einmal damit zusammen, dass er aus einer sehr<br />
weltoffenen Familie stammte, weshalb er schon in Indien freundschaftliche Kontakte<br />
nicht nur zu Hindus, Buddhisten oder Zoroastriern hatte, sondern auch zu<br />
Christen. Hinzu kam, dass er in Sayyid al-Madani einen vielseitig gelehrten und<br />
unabhängigen Sufi-Meister fand. Dieser hatte sich – wie auch später Inayat Khan<br />
– die Freiheit genommen, Anschauungen und Praktiken verschiedener Religionen<br />
und Sufi-Traditionen <strong>für</strong> die eigene Methodik nutzbar zu machen, indem er<br />
bewusst außerhalb offizieller Ordenshierarchien und ‐strukturen geblieben war.<br />
Die modernen Begriffe und Themen im Werk Inayat Khans sind aber sicherlich<br />
noch mehr eine Folge der Erfahrungen, die er im Westen machte, und der vielen<br />
intensiven Begegnungen nicht nur mit Anhängern und Vertretern der verschiedenen<br />
Religionen und religiösen Strömungen, sondern auch mit bedeutenden<br />
Künstlern (etwa Claude Debussy), Geschäftsleuten (wie Henry Ford), Wissenschaftlern<br />
und Politikern. Inayat Khan stellte schnell fest, dass es unmöglich sein<br />
würde, die Sufi-Lehre in ihrer klassischen Form den modernen Menschen im<br />
Westen zu vermitteln. 9 So musste er z.B. das islamische Institut (Anjumani Islam),<br />
das er 1918 in London gegründet hatte, wieder aufgeben, da er von seinen<br />
Anhängern keine Unterstützung da<strong>für</strong> erhielt. 10 Auch die Absicht, die indische<br />
Musik und die persische Sufi-Literatur im Westen bekannt zu machen, musste er<br />
aufgeben. Ebenso veränderte sich die Ausdrucksweise Inayat Khans, da er nach<br />
einiger Zeit arabisch-islamische Begriffe durch englische ersetzte, etwa ,Allāh‘<br />
durch ,God‘ oder ,Licht Muhammads‘ (nūr-i Muḥammadī) durch ,Geist der Führung‘<br />
(spirit of guidance). Rawlinson spricht sogar davon, dass kein östlicher<br />
Lehrer so weit in seiner eigenen Integration in die westliche Kultur gegangen sei<br />
wie Inayat Khan. Er habe – abgesehen davon, dass er eine Amerikanerin geheira-<br />
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