05.11.2013 Aufrufe

Wo ist der Online-Ulysses? - Netzliteratur.net

Wo ist der Online-Ulysses? - Netzliteratur.net

Wo ist der Online-Ulysses? - Netzliteratur.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Besprechungen rezensiert zu werden. Controlling- und Selektionsfunktionen, die üblicherweise<br />

von Verlagen und Lektoren übernommen werden, verlagern sich somit aus<br />

<strong>der</strong> Vermittlungs- in die Verarbeitungsrolle: In E-Zines, auf Literaturportalen o<strong>der</strong> in<br />

Newsgroups werden neue o<strong>der</strong> qualitativ hochwertige Arbeiten besprochen o<strong>der</strong> verlinkt.<br />

Dadurch aber erst werden die literarischen Texte an an<strong>der</strong>e Kommunikationsteilnehmer<br />

weitergeleitet.<br />

Ambitionierte Netzautoren agieren nicht im „luftleeren Raum“, son<strong>der</strong>n sind in<br />

ein relativ starkes Gefüge eingebunden: Es handelt sich dabei aber nicht um die Abhängigkeit<br />

von einem Verlag, son<strong>der</strong>n um den kritisch-wohlwollenden Diskurs im Inter<strong>net</strong>.<br />

2.2.2.3 <strong>Netzliteratur</strong>rezeption<br />

Die Handlungsrolle <strong>Netzliteratur</strong>rezipient kann m. E. in zwei zentralen Punkten von <strong>der</strong><br />

traditionellen Rezipientenrolle unterschieden werden:<br />

(1) Mit dem (teilweisen) Auflösen von Autor- und Vermittlerfunktion wird die<br />

Bedeutung des Lesers enorm aufgewertet: Er übernimmt die einheitstiftende Rolle des<br />

Autors und transformiert sie dabei. <strong>Netzliteratur</strong> stellt kein vorgefertigtes Produkt mehr<br />

dar, das vom Rezipienten ‚durchgelesen’ werden kann. Stattdessen <strong>ist</strong> es als Rohmaterial<br />

anzusehen, das ihn dazu anhält, selbst aktiv zu werden. Aus den vorgegebenen Elementen<br />

muss er durch seine eigene Leseentscheidung eine Textfolge herstellen und die<br />

Fragmente dabei kohärent verbinden (vgl. Wirth 1999, S. 31-33).<br />

(2) Der traditionelle Textstrang wird samt seines ‚Zwanges zur Linearität’ aufgegeben,<br />

an seine Stelle treten durch Hyperlinks <strong>net</strong>zartig verbundene Texteinheiten. Was<br />

in <strong>der</strong> experimentellen Literatur des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts (z. B. bei Arno Schmidt)<br />

im schriftlichen Medium ausprobiert wurde, wird im digitalen Medium zum zentralen<br />

Prinzip erklärt. Damit wird das ‚springende Lesen’, das auch in linearen Texten stets<br />

möglich war, zur grundlegenden Lesehaltung: Springen stellt nun aber keine Möglichkeit,<br />

son<strong>der</strong>n eine absolute Notwendigkeit dar. Auch <strong>der</strong> Lesevorgang an sich hat sich<br />

geän<strong>der</strong>t: Die Rezipienten klicken, navigieren, ja: surfen durch die Texteinheiten (vgl.<br />

ebenda, vgl. Jonas 2000). Dabei kommt es natürlich auch zu Problemen:<br />

(1) Linearität <strong>ist</strong> das zentrale Merkmal nahezu aller Texte, die ein Mensch im Laufe<br />

seiner Sozialisation zu verstehen gelernt hat. Seine erlernten Rezeptionsstrategien sind bei<br />

<strong>Netzliteratur</strong> allerdings nahezu unnütz. Stattdessen muss er neue Strategien bilden.<br />

(2) Der Leser hat me<strong>ist</strong> keinen Überblick über Tiefe und Struktur des <strong>net</strong>zliterarischen<br />

Textes. Nur selten weisen Hypertexte auch ein Ende auf: Die Lektüre kann im<br />

schlimmsten Fall in einem ziellosen Herumirren münden. Dazu tritt das Problem, dass<br />

sich <strong>der</strong> Sinn eines Links erst nach dessen Aktivierung und <strong>der</strong> Lektüre des nachgeschalteten<br />

Textfragmentes ergibt.<br />

(3) Verknüpfungen zwischen den Textelementen können nur da hergestellt werden,<br />

wo <strong>der</strong> Autor auch Links gesetzt hat. (Von einem kompletten Auflösen des Autors<br />

kann überhaupt nicht gesprochen werden!) Der Leser schreitet also nur Pfade ab, die<br />

schon vorgegeben sind: Die Qualität eines Textes hängt damit sehr stark von <strong>der</strong> Dichte<br />

und <strong>der</strong> Plausibilität <strong>der</strong> Verknüpfungen ab (vgl. Schmidt-Bergmann/Liesegang 2001b,<br />

S. 15-16).<br />

Diese Einschränkungen machen deutlich, dass <strong>Netzliteratur</strong> für traditionelle Erzählformen<br />

und lineare Geschichten denkbar ungeeig<strong>net</strong> <strong>ist</strong>. Stattdessen werden Erzählformen<br />

unterstützt, die auf Episoden und <strong>der</strong> hermetischen Dichte einzelner Fragmente<br />

basieren. Eine befriedigende Leseerfahrung stellt sich dabei für den Rezipienten nicht<br />

notwendigerweise ein, dagegen wird immer wie<strong>der</strong> das Gefühl des „Lost in Hypertext“<br />

beschrieben (vgl. ebenda).<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!