Herbstausgabe 2010 - Fachverein Jus | Universität Zürich ...
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Die Pflichtwandelanleihe der Schweizerischen Eidgenossenschaft<br />
wurde ebenfalls mit einem jährlichen Coupon<br />
von 12,5% verzinst. Dafür mussten die UBS-Aktionäre<br />
zuerst bedingtes Aktienkapital (Art. 653 ff. OR) schaffen; jeder<br />
Schweizer Bürger wurde mit der Wandelung des Fremdkapitals<br />
in Eigenkapital, also in Aktien, für kurze Zeit indirekt<br />
Aktionär der grössten Schweizer Bank. Diese Beteiligung<br />
konnte der Bund Mitte August 2009 immerhin mit einem satten<br />
Gewinn von CHF 1,2 Mrd. am Markt veräussern. Die ausländischen<br />
Lösungen, um jeweils ihre systemischen Institute<br />
ins Trockene zu bringen, sahen oftmals anders aus (z.B.<br />
direkter Einstieg des Staates als Aktionär). 6<br />
Ein hiesiger Professor teilte dem Schreibenden<br />
nach der Bekanntgabe des Rettungspakets mit, dass die<br />
UBS ohne die Rekapitalisierung ihre Tore am folgenden Tag<br />
nicht mehr geöffnet hätte; so nahe stand sie vor dem Aus.<br />
Dieser Einschätzung darf man wohl glauben. Aber weshalb<br />
hat man die UBS überhaupt gerettet? Und warum hat man<br />
damals die Swissair 7 nicht vor ihrem Grounding bewahrt?<br />
Die nachfolgenden Äusserungen gehen diesen Fragen nach.<br />
III. «If a bank is too big to fail, it is too big.» 8<br />
Der Begriff des «too big to fail» (auf Deutsch «zu<br />
gross, um zu scheitern») wurde im schweizerischen Kontext<br />
bisher nicht näher bestimmt. Synonym verwendet werden<br />
Begriffe wie «too interconnected to fail» und «too complex<br />
to fail». Der Problematik des Konkurses eines Grossunternehmens<br />
war man sich aber schon länger bewusst. Aufgrund<br />
des manifesten «moral hazard-Problems» 9 hielt die SNB jedoch<br />
absichtlich die Kriterien für ein Eingreifen als «lender<br />
of last resort» unter Verschluss (sog. «constructive ambiguity»<br />
oder «Haltung der Mehrdeutigkeit»). Jedoch ist nach den<br />
jüngsten Ereignissen klar, dass die Liquiditätshilfe der SNB<br />
vor allem – oder sogar nur 10 – den beiden Grossbanken zu<br />
Gute käme. 11 Anders die USA, die dem moral hazard mit der<br />
Insolvenz von Lehman Brothers entgegenwirkten.<br />
Als Folge des UBS-Debakels hat der Bundesrat eine Expertenkommission<br />
12 mit namhaften Vertretern aus Politik, Wissenschaft<br />
und Wirtschaft berufen. Diese hat am 4. Oktober<br />
<strong>2010</strong> ihren Schlussbericht vorgelegt, der klar definiert, ab<br />
wann ein Unternehmen TBTF ist. Ferner schlägt sie auch<br />
Massnahmen 13 gegen das Problem vor. Bisher haben wir im<br />
Kontext der Systemrelevanz nur von Banken gesprochen. Es<br />
ist nicht zwingend so, dass Versicherungen (z.B. AIG), Industrie–<br />
oder Infrastrukturunternehmen (z.B. die Post oder<br />
Stromerzeuger) nicht TBTF sein können. Gemäss Bericht der<br />
Expertenkommission geniessen jedoch nur UBS und Credit<br />
Suisse eine implizite Staatsgarantie. 14 Diese Garantie ergibt<br />
sich aus der besonderen Bedeutung der beiden Grossbanken<br />
für das System. Der Gesetzgeber hat die Eidgenössische<br />
Finanzmarktaufsichtsbehörde (FINMA) und die SNB in einigen<br />
Gesetzen 15 zum Systemschutz aufgerufen; FINMA und<br />
SNB sind folglich bei Vorliegen einer Gefahr für das Finanzsystem<br />
verpflichtet, die erforderlichen Schutzmassnahmen<br />
zu ergreifen, damit Kettenreaktionen nicht zum Zusammenbruch<br />
des gesamten Systems führen. Im Resultat geht es<br />
auch hier um den Schutz der Gläubiger der Banken und das<br />
Vertrauen in den Finanzplatz. Schliesslich sind die sozialen<br />
Kosten aus dem Zusammenbruch eines systemisch wesentlichen<br />
Unternehmens höher als die (direkten) Kosten für den<br />
Rettungsring. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass<br />
auch von Finanzinstituten, die auf den ersten Blick nicht<br />
TBTF sind, Systemrisiko ausgehen kann. So wurde 1998 der<br />
relativ kleine Hedge Fond LTCM von der US-Notenbank und<br />
seinen Gläubigerbanken gestützt, weil er mit Milliardenbeträgen<br />
der Banken fremdfinanziert wurde. 16<br />
Ein Unternehmen ist gemäss Expertenbericht dann<br />
als systemrelevant zu kategorisieren, wenn es 1. Leistungen<br />
erbringt, die für die Volkswirtschaft unverzichtbar sind, und<br />
2. andere Marktteilnehmer diese Leistungen nicht innerhalb<br />
einer Frist ersetzen können, die für die Volkswirtschaft tragbar<br />
ist. Konkrete Kriterien dafür stellen Grösse, Marktkonzentration,<br />
mangelnde Substituierbarkeit sowie Vernetzung<br />
dar. 17<br />
Auf den Fall der UBS angewendet, bedeutet dies<br />
folgendes: Im Jahre 2007 wies die Grossbank eine Bilanzsumme<br />
von über CHF 2'200 Mrd. und einen Personalbestand<br />
von mehr als 80'000 Angestellten auf. 18 Die Bilanzsumme der<br />
UBS alleine war also mindestens viermal so gross wie das<br />
Bruttoinlandprodukt 19 der Schweiz. Die Marktkonzentration<br />
widerspiegelt sich in der Bedeutung der UBS als Kreditgeberin<br />
und Einlagenempfängerin im Inland; sie versorgt die Realwirtschaft<br />
zusammen mit der Credit Suisse mit über einem<br />
Drittel aller Darlehen und beherbergt einen Grossteil<br />
des Schweizer Sparvermögens (Stichwort Einlagensicherung).<br />
Gerade diese Finanzdienstleistungen können aufgrund<br />
des rasanten Vertrauensverlusts im Bankgeschäft<br />
nicht genügend schnell durch einen anderen Anbieter ersetzt<br />
werden. Schliesslich stellt die Grossbank kleineren<br />
Banken zentrale Dienstleistungen für den Zahlungsverkehr<br />
sowie das Clearing und Settlement für den Wertpapierhandel<br />
zur Verfügung. Ihre starke Vernetzung zeigt sich am besten<br />
an folgendem Satz: «Kaum eine Zahlung eines Kunden<br />
einer Schweizer Bank kann heute international ausgeführt<br />
werden, ohne dass eine der beiden Grossbanken involviert<br />
nutzt. 21 Nicht zu vergessen ist indes, dass die UBS als global<br />
tätige Bank einen sehr grossen Teil ihres Umsatzes im Ausland<br />
generiert, der dem Schweizer Bürger im Vergleich zum<br />
Risiko eines systemischen Bankrotts im Inland kaum einen<br />
Nutzen bringt. Schliesslich hätte der Zusammenbruch der<br />
UBS zu einer monopolähnlichen Stellung der Credit Suisse<br />
geführt, die bei einer sogenannten Rettungsübernahme<br />
(«rescue merger») der UBS durch die Credit Suisse zu einem<br />
noch viel grösseren, systemwesentlichen Finanzinstitut geführt<br />
hätte. 22<br />
Aber warum ist die weltweit tätige Versicherung Zurich<br />
Financial Services oder die Grossdetailhändlerin Migros<br />
nicht TBTF? Die Versicherungen ihrerseits nehmen keine Publikumseinlagen<br />
entgegen; der Abzug aller Gelder (sog. bank<br />
ist.» 20 Der Dominoeffekt einer UBS-Insolvenz wäre aus diesen<br />
Gründen für die Schweizer Volkswirtschaft verheerend<br />
gewesen. Die Expertenkommission hat in diesem Zusammenhang<br />
auch den Begriff des «too big to be rescued» berun)<br />
und damit der für Bankinstitute lebensgefährliche Liquiditätsentzug<br />
kann folglich gar nicht erst stattfinden. Immerhin<br />
ist eine Vernetzung durch die Rückversicherung von<br />
Risiken vorhanden, jedoch nicht so stark wie im Interbankenverkehr.<br />
Zudem können Versicherungsdienstleistungen<br />
relativ leicht durch einen anderen Anbieter ersetzt werden.<br />
Die Versorgung mit Lebensmitteln durch die Migros ist natürlich<br />
«lebensnotwendig». Die Substitution der Migros<br />
könnte aber im Vergleich zur Neuvergabe von Bankkrediten<br />
viel mehr Zeit in Anspruch nehmen und würde auch dank der<br />
Konkurrenz aus Deutschland schneller vollzogen werden<br />
können. 23 Auch nur so kann man sich das krude Fallenlassen<br />
der Schweizer Fluggesellschaft erklären.<br />
IV. Bemerkungen<br />
Aufgrund des aktuellen TBTF-Problems ergeben<br />
sich folgende Diskussionspunkte im Schweizer Recht:<br />
• Aus ökonomischer Sicht ist der Fall der in der Finanzkrise<br />
strauchelnden Banken relativ klar: Wer schlecht<br />
(oder auch dumm) arbeitet, den bestraft der Markt. All diese<br />
Banken wären – in einem absoluten System von Wettbewerb<br />
– wie Lehman Brothers und manche Unternehmen in der Re-<br />
12 Artikel Artikel<br />
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