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Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr

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„Was, sonderbar?“<br />

„Diese Umkehrung. Die bekannte Fabel spricht doch wohl von einem Esel in der Löwenhaut.“<br />

„Sir! Soll das eine Anzüglichkeit bedeuten?“<br />

„Nein, nur eine Richtigstellung.“<br />

„Well, sollte Euch auch nicht gut bekommen! Hoffe, Euch beweisen zu können, daß ich keiner<br />

fremden Haut bedarf, um Mut zu zeigen. Könnt Euch darauf verlassen!“<br />

Dieser Bemerkung bedurfte es gar nicht; er hatte ja mehr als zur Genüge bewiesen, daß er Mut<br />

besaß; nur hatte er leider dabei die Eigentümlichkeit, alles am verkehrten Ende anzufassen. Das Bild<br />

vom Esel in der Löwenhaut war von mir berichtigt worden, weil ich wissen wollte, ob ich noch in der<br />

früher zwischen uns gebräuchlichen Weise mit ihm verkehren könnte.<br />

Wir benutzten genau denselben Weg, den ich damals von den Weideplätzen der Haddedihn <strong>nach</strong><br />

Damaskus eingeschlagen hatte, und gingen also in der Gegend von Deïr auf Kelleks über den Euphrat.<br />

Wir hatten bisher nichts erlebt, was besondere Erwähnung verdiente; in Deïr aber erfuhren wir, daß<br />

wir von jetzt an vorsichtig sein müßten, weil die Abu-Ferhan-Araber, deren Herden jetzt hier und am<br />

Khabur weideten, sich mit den Haddedihn entzweit hatten und uns, die wir mit den letzteren<br />

befreundet waren, jedenfalls feindlich behandeln würden. Wir hielten uns also lieber südlich und<br />

gingen bei Abu Seraj über den Khabur. Dort liegen die Ruinen des alten Circesium oder Karchemisch,<br />

wo 605 v. Chr. Nebukadnezar den ägyptischen König Necho besiegte. Einen Tag später hatten wir das<br />

Gebiet der Abu-Ferhan hinter uns, ohne einem von ihnen begegnet zu sein, und durften darauf<br />

rechnen, morgen oder spätestens übermorgen die Haddedihn zu sehen.<br />

Am nächsten Abend machten wir auf der weiten Ebene, die jetzt einer blumigen Wiese glich, halt.<br />

Lindsay hätte gern ein Feuer angebrannt, doch gab ich das nicht zu. Wir lagerten also im Dunkeln.<br />

Gegen Mitter<strong>nach</strong>t hörte ich den schnellen Hufschlag von Pferden, konnte aber die Reiter nicht sehen.<br />

Dem Schall <strong>nach</strong> zu urteilen, ritten sie ostwärts, also in der Richtung, in der wir die Haddedihn<br />

suchten. Hätten wir ein Feuer gemacht, so wären wir von diesen Leuten bemerkt und aufgesucht<br />

worden.<br />

Als der Tag graute, brachen wir auf. Nachdem wir vielleicht eine Stunde lang geritten waren,<br />

erblickten wir zwei Reitertrupps, die aus Osten kamen; der erste von ihnen, der aus sechs bis acht<br />

Personen bestand, hielt sich nördlich, mußte also für uns schnell wieder verschwinden; der zweite<br />

zählte nur zwei Personen, die gerade auf uns zukamen. Ich glaubte annehmen zu dürfen, daß diese<br />

beiden Trupps zusammengehörten und sich erst vor wenigen Minuten getrennt hatten.<br />

Zunächst konnten wir nichts Deutliches sehen, weil die Leute noch zu fern waren; doch kamen die<br />

beiden uns rasch näher, und da erkannten wir, daß der eine auf einem Schimmel und der andere auf<br />

einem Schwarzen saß. Sie sahen uns natürlich ebenso wie wir sie, veränderten aber ihre Richtung<br />

nicht, schwangen die Arme, wie um uns ein Zeichen zu geben, und ließen frohe Ausrufe hören, die aus<br />

der Ferne wie „Nadscha, nadscha, nefad!“ klangen. Wenn ich nicht falsch hörte, so hieß dies soviel<br />

wie: „Es ist gelungen!“ Sie schienen uns für ihresgleichen zu halten.<br />

Dann aber mußten sie die graukarierte Gestalt des Englishman deutlicher sehen; sie stutzten, kamen<br />

aber doch dann auf uns zu. Jetzt waren sie ungefähr noch zweihundert Pferdelängen von uns entfernt;<br />

da konnte ich einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken; ich erkannte die beiden Pferde. Bei<br />

dem Engländer war dasselbe der Fall, denn er sagte zu gleicher Zeit:<br />

„Donner, das ist ja unser Rih! Sind diese Leute Haddedihn?“<br />

„Nein, Pferdediebe“, antwortete ich leise. „Macht sie mir nicht scheu! Jedenfalls sind es Abu-<br />

Ferhan, dieselben, die gestern abend an uns vorüberritten. Sie haben die beiden besten Pferde der<br />

Haddedihn gestohlen. Haltet an und steigt ab, Sir! Die Pferde müssen wir haben. Bleibt hier halten, bis<br />

ich wiederkomme!“<br />

Wie ließen unsere Kamele niederknien und stiegen ab. Den Bärentöter und den Stutzen ließ ich im<br />

Sattel hängen und ging den beiden Reitern mit leeren Händen entgegen. Sie waren auch halten<br />

geblieben. Ein Blick <strong>nach</strong> rückwärts sagte mir, daß Lindsay sein Gewehr in der Hand hielt. Als ich<br />

noch ungefähr sechzig Schritte von ihnen entfernt war, rief mir derjenige, der auf dem Rapphengst<br />

saß, zu:<br />

„Halt, bleib stehen! Wer bist du?“<br />

„Ich bin der Besitzer des Rappen, auf dem du sitzt“, antwortete ich. „Steig ab!“<br />

„Allah verbrenne dich“, antwortete er. „Bist du bei Sinnen? Das Pferd ist mein!“

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