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Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr

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„Ruh ja mesach — geh, du Zwerg“, lachte Amad grimmig, „um so kleiner bist dann du! Wer unter<br />

dem Schutz eines solchen Knaben steht, kann wahrlich stolz sein!“<br />

„Ja, stolz bin ich allerdings“, antwortete ich, „doch nicht auf diese beiden Eigenschaften, sondern<br />

darauf, daß dieser Knabe, dessen ich mich erst seit einigen Tagen angenommen habe, trotzdem schon<br />

einen schärferen Blick besitzt als ihr, die ihr euch erwachsene und erfahrene Krieger nennt. Du hast<br />

mich von dir gewiesen; wohlan, ich trenne mich von euch, doch nur auf wenige Schritte, denn ich<br />

weiß, daß ihr meiner Hilfe bedürfen werdet. Du hast vorhin in deiner Halsstarrigkeit das Wort gesagt:<br />

Ich gehöre an das Grab meines Vaters; ich bleibe hier! Sieh zu, daß es nicht in der Weise in Erfüllung<br />

geht, daß du für immer hier bleiben mußt!“<br />

Ich wandte mich ab und führte meinen Rih von den andern Pferden fort; das war das Zeichen der<br />

ausgesprochenen Trennung; Halef, sein Sohn und Omar holten ihre Pferde auch. Da stand der<br />

Engländer, der bisher, am Boden sitzend, stumm zugehört hatte, auch auf, brachte sein Pferd<br />

herbeigeführt und fragte mich:<br />

„Hört einmal, wertester Mr. Kara Ben Nemsi, was ist denn hier für ein Teufel los? Habt Euch von<br />

den Haddedihn getrennt?“<br />

„Weil sie mich als Anführer abgesetzt haben. Die vier nämlich, die vorhin auf der Jagd gewesen<br />

sind, haben zwei Bebbeh getroffen, die sie aber für Soran-Kurden halten. Ich riet, ein anderes Lager zu<br />

beziehen; sie bleiben aber hier.“<br />

„The devil! Da kann es etwas absetzen, nicht? Wollt Ihr mir wohl sagen, was —“<br />

„Jetzt nicht“, fiel ich ihm in die Rede, „später. Ich muß gleich den beiden Bebbeh <strong>nach</strong>; ich nehme<br />

Halef und seinen Sohn mit —“<br />

„Was, die? Warum nicht mich?“ unterbrach er mich.<br />

„Weil ich einen sicheren Mann hier bei den kostbaren Pferden haben muß, und Ihr seid doch der<br />

sicherste“‚ antwortete ich.<br />

„Well, schön, ich bleibe“, erklärte er sehr befriedigt, obwohl ich ihn nur deshalb nicht mitnahm,<br />

weil ich dachte, daß er da Dummheiten machen würde.<br />

Einige Minuten später stieg ich mit Halef und seinem Sohn wieder von der Höhe ins Tal hinab. Bis<br />

wir hinunterkamen, fiel mir nichts auf, weil der Weg meist felsig war; unten aber fiel mein Auge auf<br />

die Spuren, die die vier Haddedihn, die jagen gewesen waren, gemacht hatten; ich sah ihre hingehende<br />

und zurückkehrende Fährte. Daneben aber gab es noch die Eindrücke zweier Menschen, die nicht in<br />

den Felsenpfad, sondern seitwärts davon einbogen und da zur Höhe führten.<br />

„Kannst du dir denken, wer hier gegangen ist?“ fragte ich Halef.<br />

„Nein, Sihdi“, antwortete er. „Da du mir deine Meinung noch nicht mitgeteilt hast, weiß ich noch<br />

nicht, von welchem Gedanken ich auszugehen habe.“<br />

„Von dem Gedanken, daß die beiden Kurden, die sich für Soran ausgegeben haben, Bebbeh<br />

gewesen sind.“<br />

„Maschallah! Das denkst du?“<br />

„Es gibt mehrere Gründe. Zunächst gibt es keinen Stamm der Soran mehr.“<br />

„Das ist richtig, Sihdi. Dieser Stamm ist ja von den Bebbeh vernichtet worden, so daß nur einzelne<br />

Männer übrigblieben, die sich noch heute verbergen müssen. Daran dachte ich gar nicht.“<br />

„Wie kann also ein Stamm der Soran unten am alten Kanal Beledrus seine Herden weiden!“<br />

„Dort hat es überhaupt niemals Kurden, sondern stets nur arabische Stämme gegeben. Die vier<br />

Haddedihnjäger sind schmählich belogen worden.“<br />

„Und so dumm gewesen, die Lügen zu glauben. Die zwei Kurden waren die Kundschafter der<br />

Bebbeh, die heute wie alle Jahre kommen und, um sicherzugehen, zwei Krieger vorausgesandt haben.<br />

Diese Späher haben es unsern vier Jägern natürlich sofort an den Stammeskennzeichen angesehen, daß<br />

sie Haddedihn sind und sich infolgedessen für Soran ausgegeben; sie haben sie ausgefragt, alles<br />

erfahren und sich dann die Lüge von dem verlorenen Dolch ausgesonnen, um unauffällig wieder<br />

zurückkehren zu können. Dann haben sie an einem passenden Ort ihre Pferde versteckt und sind<br />

hierher zurückgekehrt, um sich <strong>nach</strong> oben zu schleichen und uns zu sehen. Ihre Fährte führt hier<br />

hinauf, aber nicht wieder herab; ich will doch nicht denken, daß sie noch oben sind! Bleibt hier stehen;<br />

ich muß Gewißheit haben.“<br />

Ich schlich mich an Büschen und Felsen vorüber wieder hinauf. Es war sehr schwer, auf dem harten<br />

Boden die Spur zu verfolgen; es gelang mir aber doch. Da sah ich, daß sie uns beobachtet und

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