Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr
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aber ich sah den Erfolg. Der Rappe war ein ebenbürtiger Sohn meines Rih: das Geheimnis<br />
vernehmend, schoß er mit doppelter Schnelligkeit davon, der Fuchs aber fast ebenso schnell hinter ihm<br />
her. Als der Kurde sah, daß er wahrscheinlich <strong>nach</strong> und <strong>nach</strong> zurückbleiben würde, nahm er sein<br />
Gewehr vom Rücken, um es im Reiten zu laden. Er wollte auf Kara Ben Halef schießen. Da rief ich<br />
„Rih, Rih“ und legte meinem Pferd die Hand auch zwischen die Ohren. Der Rappe schnaubte tief auf<br />
und schoß dann so reißend schnell vorwärts, daß ich binnen einer Minute mich an der Seite des<br />
Kurden befand. Ein Kolbenhieb mit dem Bärentöter warf ihn vom Pferd; er blieb wie leblos liegen. Ich<br />
rief den Knaben, und er hielt an. Hinter mir sah ich Omar Ben Sadek auf seinem Schecken; dann<br />
kamen Halef und der Engländer.<br />
„Kommt mir schnell <strong>nach</strong>“, gebot ich Kara Ben Halef, „und bringt diesen Kurden und sein Pferd<br />
mit! Ich muß noch hinter Amad el Ghandur her.“<br />
Nach diesen Worten sprengte ich weiter, natürlich wieder mit Anwendung des Geheimnisses. Es<br />
war mir, offen gestanden, unerklärlich, daß der sonst so tapfere Amad el Ghandur vor Ahmed Asad<br />
floh, ohne ihm standzuhalten, sah aber dann später, daß ihm sein Gewehr aus der Hand geschlagen<br />
worden war; dazu war ihm der Gürtel zersprungen und mit dem Messer und den Pistolen<br />
herabgefallen; er hatte also keine einzige Waffe in der Hand, um sich zu verteidigen, und konnte sich<br />
nur durch die Schnelligkeit seines Pferdes retten.<br />
Leider sollte ihm diese Absicht mißlingen. Der gestrige Blutverlust hatte ihn geschwächt; dazu kam<br />
die gegenwärtige Aufregung, und wahrscheinlich war auch das Wundfieber im Anzug. Vor seinem<br />
Verfolger herschießend, mußte er um eine scharfe Krümmung des Tals biegen. Da sah er ein langes,<br />
hohes Felsenstück quer in seinem Wege liegen; er hatte keine Zeit mehr, auszuweichen; er mußte<br />
darüber hinweg. Es fehlte ihm die Kraft, dem Pferde die notwendige Hilfe zu geben; es blieb mit den<br />
Hinterbeinen hängen und stürzte jenseits des Felsens mit ihm nieder, glücklicherweise so, daß er nicht<br />
in dem Bügel blieb, sondern abgeworfen wurde.<br />
Ahmed Asad kam zwei Sekunden hinter ihm um die Ecke <strong>nach</strong>; er beherrschte sein Pferd so gut,<br />
daß es ihm gelang, dem Felsen auszuweichen und hinter diesem anzuhalten. Er sprang aus dem Sattel,<br />
um sich auf den am Boden liegenden, halb betäubten Haddedihn zu werfen. In diesem Augenblick<br />
hatte auch ich die Krümmung erreicht. Um sie lenkend, sah ich die beiden. Der Bebbeh zückte soeben<br />
sein Messer <strong>nach</strong> der Brust Amad el Ghandurs.<br />
„Halt, stich nicht; es ist dein Tod!“ rief ich ihm zu und nahm meinen Rih vorn fest, um über das<br />
Felsenstück zu setzen und den Bebbeh niederzureiten. Er warf das Messer weg, riß sein Gewehr, das<br />
noch geladen war, vom Rücken und schrie mir entgegen:<br />
„Komm heran, Hund! Du bist mein!“<br />
Es war mir unmöglich, anzuhalten, denn eben setzte Rih zum Sprung an. Ich sah die Mündung des<br />
Gewehrs auf mich gerichtet; der Schuß krachte, gerade als mein Rappe hoch empor und über den<br />
Felsen flog. Da der Bebbeh im vorhergehenden Augenblicke tiefer gezielt hatte, als ich mich infolge<br />
des Sprunges im jetzigen Moment befand, traf die Kugel nicht mich, sondern mein Pferd.<br />
Ich hatte das Gefühl, als säße ich auf einem Stuhl, gegen dessen Beine ein Schlag geführt wird, zog<br />
schnell beide Füße aus den Bügeln und wurde in einem weiten Bogen aus dem Sattel geschleudert,<br />
während Rih sich überschlug und jenseits des Felsens liegenblieb.<br />
Ich war außer mir, raffte mich auf und sprang, ohne auf den Kurden zu achten, zu meinem Pferd<br />
hin. Die Kugel war ihm in die Brust gedrungen! Es war unrettbar verloren. Da bemächtigte sich<br />
meiner ein Grimm, wie ich ihn noch nie gefühlt hatte; er riß mich förmlich vom Pferd weg und <strong>nach</strong><br />
dem Bebbeh hin, doch schon zu spät, denn er sprang soeben wieder auf sein Pferd. Er hatte gesehen,<br />
daß ich unverletzt geblieben war, und die Angst vor mir und meinen überlegenen Waffen trieb ihn<br />
weiter.<br />
„Der Teufel hat dich abermals beschützt; wohne bei ihm in der Hölle!“ schrie er mir noch zu; dann<br />
sauste er fort.<br />
Die Wut, die in mir kochte, wollte mich verführen, ihn vom Pferd zu schießen, doch hörte ich<br />
glücklicherweise selbst in diesem Augenblick auf die Stimme der Überlegung. Tötete ich den Scheik<br />
der Kurden, so forderte ich die Blutrache noch mehr heraus; bekam ich ihn aber lebendig in die Hand,<br />
so konnte er mir als Geisel von größtem Vorteil sein. Ich mußte ihn also fangen. Aber wie? Rih konnte<br />
wohl keinen Schritt mehr tun; doch da stand ja Amad el Ghandurs Schimmelstute. Er lag noch am<br />
Boden und stöhnte schmerzvoll: