07.11.2013 Aufrufe

Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr

Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr

Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die beiden Gefangenen sagten kein Wort; der eine starrte zur Erde nieder, und der andere betastete<br />

unaufhörlich seine Nase, die an Farbenreichtum und Ausdehnung sichtlich zunahm. Der Lord mußte<br />

ihm einen nicht gewöhnlichen Hieb gegeben haben.<br />

Da, als wir ungefähr eine Viertelstunde lang gesessen hatten, sahen wir eine ganze Menge Reiter am<br />

östlichen Horizont auftauchen.<br />

„Sie kommen, sie kommen!“ lachte Lindsay übers ganze Gesicht. „Ich könnte ihnen gleich tausend<br />

Pfund Sterling schenken, so freue ich mich!“<br />

Ja, sie kamen; sie näherten sich schnell, weil sie auf der Spur der Pferdediebe ritten. Sie sahen uns<br />

und hielten an, um uns zu betrachten. Sie bemerkten nebst unsern Kamelen einen Schimmel und einen<br />

Rappen. Diese Färbung der Pferde stimmte. Konnten es die ihrigen sein? Nein, denn dann wären wir<br />

die Diebe gewesen und hätten sie nicht so ruhig herankommen lassen.<br />

„Sir“, fragte der Engländer, „wer ist der hohe, bärtige Mann, der an ihrer Spitze hält?“<br />

„Das ist Amad el Ghandur. Er trägt den Bart ebenso lang wie früher sein Vater, nur daß der seinige<br />

schwarz ist und der von Mohammed Emin weiß wie Silber war.“<br />

„Und der Alte neben ihm?“<br />

„Ist Scheik Malek von den Atejbeh, der Großvater von Hanneh, der Herrlichsten unter den<br />

Herrlichen.“<br />

„Und der kleine Kerl seitwärts von diesem?“<br />

„Unser Hadschi Halef Omar.“<br />

„Well! Habt bessere Augen als ich. Hält dort nicht einer auf einem scheckigen Pferd?“<br />

„Ja. Das ist Omar Ben Sadek auf seinem Aladschy-Pferd. Sie haben uns noch nicht erkannt; jetzt<br />

aber kommen sie.“<br />

„Well! Werde mich ihnen gleich in Lebensgröße zeigen.“<br />

Er stand auf, streckte seine lange Gestalt womöglich noch länger und schritt ihnen entgegen. Sie<br />

stutzten wieder. Die sonderbare, graukarierte Figur überraschte sie. Da aber stieß der kleine Hadschi<br />

einen lauten Freudenruf aus, trieb sein Pferd vorwärts und rief dabei, sein Arabisch und Türkisch mit<br />

den wenigen deutschen und englischen Brocken, die er sich gemerkt hatte, bereichernd:<br />

„Maschallah, Wunder Gottes! That’s Lord David Lindsay; ich erkenne ihn! Kejfumis nedir — wie<br />

geht es?“<br />

Er kam hergeritten; der Lord ging ihm entgegen. Als sie sich trafen, sprang Halef vom Pferd und<br />

fragte:<br />

„You hier bei uns! Allah, Allah! Habt Ihr von meinem guten Sihdi gehört? Wie geht es ihm? Hat er<br />

ein Weib genommen oder noch nicht? Was —?“<br />

Die Frage blieb ihm im Mund stecken; ich hatte ihm den Rücken halb zugekehrt, stand aber jetzt auf<br />

und schritt auf ihn zu. Er bewegte zunächst kein Glied; dann breitete er die Arme aus, als ob er mich<br />

schon von weitem umfangen wollte, konnte aber nicht von der Stelle, sondern sank auf die Knie nieder<br />

und bewegte die Lippen. Man sah, daß er sprechen wollte; er brachte aber kein Wort hervor; dabei<br />

rannen ihm dicke Tränen aus den Augen und über das Gesicht herab.<br />

Ich war tief, tief gerührt von dieser außerordentlichen Gemütsbewegung, hob ihn empor und zog ihn<br />

an meine Brust. Da schlang er die Arme um mich, drückte sein Gesicht an mich und weinte und<br />

schluchzte zum Herzbrechen.<br />

Nun wurden auch die andern lebendig. Sie erkannten uns; sie erkannten auch den Hengst und die<br />

Schimmelstute; im nächsten Augenblick wogte es um uns von Reitern, die von den Pferden sprangen,<br />

von Rufen und Fragen. Aller Hände streckten sich <strong>nach</strong> uns aus; ich konnte keine einzige drücken,<br />

denn ich hatte vollauf mit meinem Halef zu tun, der sich endlich so weit beruhigte, daß er sprechen<br />

konnte, aber auch erst nur die Worte:<br />

„Ja Sihdi, hajâti, na’ imi, nuri esch schems, ja Allah, ja Allah — o Sihdi, mein Leben, mein Glück,<br />

mein Sonnenlicht — o Gott, o Gott!“<br />

Dabei streichelte er mir mit beiden Händen das Gesicht und küßte den Saum meines Burnus. Für<br />

ihn war es in diesem Augenblick ganz gleichgültig, ob die beiden kostbaren Pferde gerettet waren oder<br />

nicht. Er hatte mich; das war ihm genug.<br />

Um so größer aber war der Jubel der andern darüber, daß die Tiere sich in Sicherheit befanden.<br />

Auch ich hatten Tränen in den Augen über Halefs tiefes Ergriffensein, und dennoch konnte ich nicht<br />

anders, ich mußte lächeln über die Art und Weise, in der der graukarierte Lord die Haddedihn

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!