Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr
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„Das ist richtig. Ich sehe, daß dein Kara Ben Halef weit über seine Jahre vorgeschritten ist; aber sein<br />
Körper ist wohl noch nicht widerstandsfähig genug, um einen solchen schnellen, weiten und<br />
anstrengenden Ritt, wie wir ihn vorhaben, aushalten zu können.“<br />
„Denke das ja nicht, Sihdi! Er ist abgehärtet wie ein Alter. Ich habe ihn in diesem Jahr mit in Basra<br />
gehabt, gewiß ein weiter Ritt, viel, viel weiter als derjenige, den wir jetzt vorhaben, und er war bei der<br />
Rückkehr so munter und so frisch, wie er beim Aufbruch gewesen war. Ich sage dir, er hält es aus,<br />
vielleicht besser als ein Krieger von dreißig oder vierzig Jahren. Es würde mich sehr schmerzen, wenn<br />
du mir meinen Wunsch nicht erfüllen wolltest.“<br />
„Vom Erfüllen oder Nichterfüllen meinerseits kann keine Rede sein. Du bist der Vater und hast also<br />
allein zu bestimmen, was dein Sohn zu tun oder zu lassen hat. Es kommt also nur auf dich an, ob du<br />
ihn mitnehmen willst oder nicht.“<br />
„Das sagst du, Sihdi; aber die Haddedihn werden anders denken. Ich vermute, daß sie sich weigern<br />
werden, einen Knaben mitzunehmen.“<br />
„Das kann ich ihnen, aufrichtig gesagt, auch nicht verdenken, obwohl sie den beabsichtigten Ritt<br />
viel leichter nehmen als ich.“<br />
„Leichter? So hältst du ihn für schwieriger als sie?“<br />
„Nicht allein für schwieriger, sondern auch für gefährlicher.“<br />
„Gefährlich? Weshalb?“<br />
„Ihr habt mir die Führung übergeben und, wie ich nur zu dir allein sage, ganz wohl daran getan,<br />
denn ich bin als Abendländer viel bedachter als sie. Ich habe mich daran gewöhnt, mir alles vorher zu<br />
überlegen, und halte es für leicht möglich, daß wir einen Zusammenstoß mit den Bebbeh haben.“<br />
„Wir können aber doch leicht die Gegend vermeiden, in der sie sich jetzt befinden!“<br />
„Nein, das können wir wahrscheinlich nicht, denn es ist leicht denkbar, daß sie sich gerade dort<br />
befinden, wohin wir jetzt wollen.“<br />
„Was könnten sie dort wollen?“<br />
„Dasselbe, was wir beabsichtigen.“<br />
„Ich verstehe dich nicht, Sihdi. Sie können doch nicht auf den Gedanken kommen, am Grab des<br />
Scheiks, der ihr Feind und Gegner war, zu beten!“<br />
„Das wird ihnen freilich nicht einfallen; aber es gibt ein anderes Grab dort, das sie gerade an<br />
demselben Tag anziehen kann. Denk an ihren Scheik Gasâl Gaboga!“<br />
„Den ich erschossen habe?“<br />
„Ja. Er hat mit Mohammed Emin denselben Todestag. Kannst du mich nun begreifen?“<br />
„Allah, Allah, daran habe ich gar nicht gedacht! Aber da fällt mir ein, daß es gar kein Grab gibt, an<br />
dem sie beten könnten, denn wir haben damals ihre Toten, also auch die Leiche ihres Scheiks, ins<br />
Wasser geworfen.“<br />
„Was ich nicht zugegeben hätte, wenn ich nicht betäubt gewesen wäre“, fiel ich ein. „Man muß die<br />
Toten ehren; das ist damals nicht geschehen, und darum wird die Stimmung der Bebbeh seitdem<br />
doppelt feindselig geworden sein. Dazu kommt, daß Amad el Ghandur <strong>nach</strong>her den Tod seines Vaters<br />
an ihnen gerächt hat.“<br />
„Du meinst also, daß sie ans Wasser kommen werden, um zu beten?“<br />
„Ich meine, daß ihr Kommen möglich ist, weiter nichts; aber wenn sie kommen, so brauchen sie<br />
sich nicht an das Wasser zu stellen; davon bin ich überzeugt. Sie sind auf alle Fälle, als wir fort waren,<br />
zurückgekehrt, um zu sehen, was mit ihren gefallenen Kriegern geschehen ist. Sie haben die Leichen<br />
aus dem Wasser gezogen und begraben; es gibt also eine Stätte, an der sie sich zur Andacht<br />
versammeln können. Unsere Haddedihn sind nicht umsichtig genug, daran zu denken. Ich habe also<br />
guten Grund, unsern Ritt für nicht ungefährlich zu halten. Es kann leicht zu einem Zusammenstoß mit<br />
ihnen kommen. Nimmst du deinen Sohn mit, so weißt du nun, welcher Gefahr du ihn aussetzt.“<br />
„Sihdi, das ist aber doch kein Grund, ihn hierzulassen! Soll er sich vor einer Gefahr fürchten, der<br />
sein Vater kaltblütig entgegengeht? Er wird nun erst recht wünschen, bei mir sein zu dürfen. Ist er<br />
vielleicht besser als ich? Bin ich so wertlos gegen ihn, daß ich, der Vater, mich erschießen lassen muß,<br />
während er, der Sohn, hier bei den alten Weibern zurückbleibt, um seinen edlen Leib zu pflegen und<br />
seine zarte Haut mit wohlriechenden Salben einzureiben? Wie kann ein Held aus ihm werden, wenn er<br />
es schon jetzt verschmäht, den Glanz seines Mutes zu zeigen und den Schimmer seiner Tapferkeit zu