Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr
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„Ich halte zu dir, denn ich bin nicht verrückt“, antwortete er. „Mögen sie mich für feig halten; mein<br />
Stolz hört nicht auf solche Leute!“<br />
„Du hast recht. Übrigens wirst du wohl Gelegenheit finden, auch zu zeigen, daß du Mut besitzt.<br />
Kommt, wir wollen fort!“<br />
Wir nahmen unsere Pferde bei den Zügeln und gingen. Als wir die Enge hinter uns hatten, war von<br />
den Haddedihn schon nichts mehr zu sehen; sie konnten nicht schnell genug ins Unglück gelangen.<br />
Unten im Tal angekommen, stiegen wir auf und ritten ihren Spuren <strong>nach</strong>. Wir sahen, wo die Bebbeh<br />
gelagert hatten. Die Hufstapfen ihrer Pferde führten von da aus <strong>nach</strong> Norden um den Berg herum,<br />
dessen westlicher Fuß in eine Ebene überging, deren Breite wohl über eine englische Meile betrug.<br />
Eben bogen wir, dem Tal folgend, <strong>nach</strong> Westen ein, da hörten wir Schüsse und ein wildes Geschrei.<br />
Der Kampf hatte begonnen. Wir ritten rascher. Das Schießen dauerte fort.<br />
„The devil!“ rief der Lord, dessen sich das Kampffieber zu bemächtigen schien. „Die Kurden<br />
schlachten unsere Haddedihn bis auf den letzten Mann ab, wenn wir nicht schneller machen.<br />
Vorwärts, vorwärts!“<br />
Er gab seinem Pferd die Sporen und flog im Galopp davon. Omar und ich folgten ebenso rasch<br />
hinterher. Jetzt hatte das Schießen aufgehört, aber das Schreien war stärker geworden. Da öffnete sich<br />
das Tal <strong>nach</strong> der genannten Ebene, und wir sahen den Kampfplatz vor uns liegen. Hier hatten die<br />
Bebbeh gelagert; der Überfall war, wie ich vorausgesehen hatte, vollständig mißlungen. Wir sahen<br />
Tote und Verwundete liegen; diejenigen Haddedihn, die davongekommen waren, flohen draußen über<br />
die Ebene; sie wurden von den Bebbeh verfolgt; natürlich waren diese ebenso zu Pferde. Links sah ich<br />
Amad el Ghandur auf seinem Schimmel dahinstürmen; fünf Kurden waren hinter ihm her. Der<br />
Vorderste von diesen ritt eine prächtige persische Rappstute. Das war der Scheik Ahmed Asad. Gerade<br />
vor uns floh der kleine Kara Ben Halef, verfolgt von einem Kurden, der auf einem persischen Fuchs<br />
saß; auch dieses Pferd war hochedel, wie ich auf den ersten Blick sah. Hart hinter diesem ritt Halef,<br />
um seinen Sohn zu schützen, doch war sein Pferd nicht schnell genug, den Fuchs einzuholen. Auf die<br />
übrigen Reiter achtete ich nicht, denn ich sah, daß Kara Ben Halef verloren war, wenn der kräftigere<br />
Kurde ihn einholte; ich mußte ihm zu Hilfe kommen.<br />
„Dem Knaben <strong>nach</strong>!“ rief ich den Gefährten zu. „Rih, Rih, kawâm, kawâm — schnell, schnell!“<br />
Wir flogen an dem Kampfplatz vorüber. Die wenigen Kurden, die dort mit den Verwundeten<br />
beschäftigt waren, wollten auf uns schießen, hatten aber keine Kugeln in den Läufen. Ich sauste, ohne<br />
<strong>nach</strong> Omar und Lindsay zurückzublicken, an schreienden Kurden vorbei, die sich auf der Verfolgung<br />
befanden, achtete aber gar nicht auf sie, denn ich hatte nur den Knaben im Auge, dem der Perserfuchs<br />
immer näher kam.<br />
Gerade vor uns wurde die Ebene von einem bewaldeten Berg begrenzt, an dessen Fuß sich links ein<br />
breites Tal öffnete. In diesem verschwand jetzt Amad el Ghandur; Ahmed Asad war hart hinter ihm.<br />
Dorthin lenkte Kara Ben Halef auch, gefolgt von dem Kurden und dann von seinem Vater. Ich kam<br />
dem letzten schnell näher. Er hörte mich kommen, drehte sich im Sattel um und rief, als er mich sah,<br />
mir zu:<br />
„Sihdi, rette meinen Sohn! Mein Pferd ist nicht schnell genug.“<br />
„Hat er das Geheimnis schon angewendet?“<br />
„Nein.“<br />
„Dann ist ja alles gut. Folge mir!“<br />
Bei diesen Worten schoß ich an ihm vorüber. Es war, wie wenn ein Eilzug an einem langsamen<br />
Güterzug vorübersaust. Jetzt war das Tal erreicht. Jede Sekunde brachte mich dem Fuchs näher; bald<br />
war ich nur noch wenige Pferdelängen hinter ihm. Der Reiter drehte sich um, sah mich und schrie mir<br />
hohnlachend zu:<br />
„Bist du es, Giaur? Hole mich ein, wenn du kannst! Ich bin Nisar Hared, Gasâl Gabogas zweiter<br />
Sohn!“<br />
Er zog eine Pistole aus seinem Gürtel und schoß auf mich, traf aber nicht. Da griff er hinter sich<br />
<strong>nach</strong> dem Schwanz seines Pferdes und rief diesem zu:<br />
„Galib, Galib, räftä, räftä!“<br />
Das war persisch und heißt zu deutsch: „Sieger, Sieger, von dannen, von dannen!“ Er wandte also<br />
das Geheimnis seines Pferdes an. Als der verfolgte Knabe dies hörte, lachte er jubelnd zurück. Ich sah,<br />
daß er seinem jungen Rappen die Hand zwischen die Ohren legte; was er dazu sagte, hörte ich nicht,