Karl May Zweite „Reise“ nach K U R D I S T A N - MJB-Verlag Mehr
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„Ja. Wir haben gleich <strong>nach</strong> Tagesanbruch gesucht und eine Stelle entdeckt, an der wir<br />
hinaufkönnen. Kein Beduine, der Bewohner der Ebene ist, könnte da empor; wir Kurden aber hausen<br />
in den Bergen und sind gute Kletterer.“<br />
„Wir werden euch auch da empfangen!“<br />
„Das weiß ich, <strong>nach</strong>dem ich es dir gesagt habe. Du siehst, wie dankbar ich dir bin, denn ich verrate<br />
meine eigenen Genossen. Aber es wird euch doch nichts helfen, denn ihr werdet von zwei Seiten<br />
angegriffen, auch von der Felsenenge aus.“<br />
„Hm! Wo lagert ihr? Noch immer gerade unter uns im Grund?“<br />
„Nein; wir sind rückwärts gegangen, halb um den Felsenberg herum. <strong>Mehr</strong> darf ich dir nicht sagen.<br />
Ich habe meine Pflicht gegen dich getan. Nun handle, wie du willst. Chodeh te bahvesche — Gott<br />
erhalte dich!“<br />
Er wandte sich um und eilte fort. Ich stieg rasch den Berg hinan und rief, oben angekommen, den<br />
gestrigen Streit und auch das heutige Verhalten Amad el Ghandurs vergessend:<br />
„Auf, zu den Waffen, ihr Männer! Die Bebbeh werden uns angreifen, da an dem Felsendurchgang<br />
und auch von dort her, wo sie heraufgestiegen kommen.“<br />
Da sprang Amad el Ghandur auf und fragte:<br />
„Wo sind sie jetzt?“<br />
„Sie haben sich nördlich halb um den Berg gezogen. Der Bruder von Gasâl Gaboga hat es mir<br />
gesagt; darum will ich, daß ihm nichts geschehe. Schießt nicht auf ihn. Schont überhaupt den Feind<br />
soviel wie möglich. Schießt sie in die Beine! Ich werde mit meinem Stutzen mich an —“<br />
„Schweig!“ fuhr mich Amad el Ghandur an. „Was hast du uns zu befehlen! Jetzt bin ich der<br />
Gebieter, und was ich sage, das geschieht. Wir werden uns hüten zu warten, bis sie von beiden Seiten<br />
auf uns kommen. Wir überrumpeln sie. Wir greifen sie an. Nehmt die Waffen und die Pferde, ihr<br />
tapferen Krieger der Haddedihn! Wir führen die Pferde hinab bis dahin, wo wir aufsteigen können;<br />
dann reiten wir mitten unter die Hunde hinein und —“<br />
„Um Gottes willen, nur das nicht!“ fiel ich ihm in die Rede. „Ihr müßt —“<br />
„Schweig!“ schrie er mich abermals an. „Meinst du, daß ich nichts vom Krieg verstehe? Wir<br />
brauchen deinen Rat und deine Hilfe nicht. Bleib hier zurück, und erstick an deiner Klugheit und an<br />
deiner berühmten Feindesliebe. Und wenn dein Halef vergißt, daß er ein Haddedihn geworden ist und<br />
nicht zu dir, sondern zu uns gehört, so mag er mit seinem Knaben auch zurückbleiben und uns niemals<br />
wieder vor die Augen kommen. Wir brauchen keine Feiglinge bei uns!“<br />
„Feigling? Ich?“ rief Halef. „Das hat mir noch niemand gesagt! Ich werde dir zeigen, ob ich feig<br />
bin; ich reite mit!“<br />
Er warf sein Gewehr über und ging zu seinem Pferd; sein Sohn tat dasselbe. Es war ein Augenblick<br />
größter Aufregung; ich sah, daß alle meine Vorstellungen vergeblich sein würden, und schwieg. Der<br />
Lord fragte mich <strong>nach</strong> dem Grund des Tumults, und ich gab ihm Auskunft.<br />
„Machen wir mit?“ erkundigte er sich.<br />
„Hier bleiben können wir nicht.“<br />
„Well, so sollen diese Bebbeh einen gewissen David Lindsay kennenlernen!“<br />
„Nicht so, Sir David! Es fällt mir nicht ein, mit diesen toll gewordenen Menschen geradezu ins<br />
Verderben zu rennen. Ich möchte sie gern zurückhalten, doch Ihr seht, daß sie nicht auf mich hören.<br />
Wir reiten hinter ihnen her und werden dann ja sehen, was zu tun ist. Gott gebe einen besseren<br />
Ausgang, als ich ahne!“<br />
Die Haddedihn drängten sich durch die Enge. Halef und sein Sohn waren die letzten.<br />
„Sihdi“, rief er mir zu, „bist du mir böse? Soll Hanneh, die beste unter den Frauen, hören, daß ich<br />
ein Feigling bin?“<br />
„Nein. Du mußt leider mit; deine Ehre gebietet es dir. Aber laß Kara Ben Halef bei mir zurück!“<br />
„Nein, Effendi. Er soll ebensowenig wie ich feig genannt werden. Hadschi Halef Omar läßt seinen<br />
Namen nicht schänden. Wenn wir sterben sollten, so grüße meine Hanneh, die Rose unter den<br />
Blumen, und sage ihr, daß wir nicht vor dem Tod gezittert haben. Tröste die Gute, und lebe auch du<br />
wohl, mein lieber, lieber Herr!“<br />
Er eilte fort. Nur Omar Ben Sadek war bei uns geblieben.<br />
„Nun, und du?“ fragte ich ihn.