Berliner Zustände 2008 - Apabiz
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Rechtsextremismus in der Nachbarschaft<br />
Vorwort von Prof. Dr. Richard Stöss<br />
Der Beitrag in diesem Schattenbericht<br />
über den Rechtsextremismus im<br />
Rudower Blumenviertel weist einmal<br />
mehr darauf hin, dass rechtsextreme<br />
Einstellungen in der <strong>Berliner</strong> Bevölkerung<br />
weit verbreitet sind. Das<br />
Otto-Stammer-Zentrum am Otto-<br />
Suhr-Institut der Freien Universität<br />
Berlin beobachtet seit vielen Jahren<br />
die Entwicklung dieses Einstellungsmusters<br />
in der Region Berlin-Brandenburg<br />
1 . Im Jahr <strong>2008</strong> haben<br />
wir ermittelt, dass 14 Prozent der<br />
<strong>Berliner</strong>Innen (ab 14 Jahren) rechtsextreme<br />
Einstellungen aufweisen.<br />
Das bedeutet, dass im vergangenen<br />
Jahr jede/r siebente Befragte in der<br />
Hauptstadt völkisch-nationalistische<br />
Auffassungen vertrat. Vier Jahre<br />
zuvor hatten wir sogar 16 Prozent<br />
gemessen. Beim Rechtsextremismus<br />
handelt es sich also nicht um ein<br />
Randphänomen. Mehr oder weniger<br />
sind alle Alters- und Erwerbsgruppen<br />
betroffen. Wenn auch die<br />
Unterschicht besonders anfällig für<br />
rechtsextreme Angebote ist (Berlin<br />
<strong>2008</strong>: 19%), so finden sich auch in<br />
der Mittelschicht (10%) und in der<br />
Oberschicht (5%) derartige Orientierungen.<br />
Selbst wenn man nur den<br />
harten, ideologisch gefestigten Kern<br />
der Rechtsextremen herausfiltert,<br />
handelt es sich immer noch um sieben<br />
Prozent der <strong>Berliner</strong>Innen.<br />
Wenn wir in unseren Untersuchungen<br />
aufwendige Ursachenanalysen betreiben,<br />
so dient das vor allem der<br />
Konzipierung von Gegenmaßnahmen.<br />
Ich muss mich hier in aller Kürze auf<br />
zwei wesentliche Komplexe beschränken.<br />
Erstens begünstigen autoritäre<br />
Überzeugungen die Ausbreitung von<br />
rechtsextremen Einstellungen, während<br />
demokratische Überzeugungen<br />
maßgeblich zu ihrer Eindämmung<br />
beitragen. Es reicht allerdings nicht<br />
aus, Demokratie in der schulischen<br />
oder außerschulischen Bildungsarbeit<br />
zu unterrichten. Demokratie<br />
muss auch praktiziert werden! Der<br />
Beitrag über den Rechtsextremismus<br />
im Rudower Blumenviertel zeigt<br />
eindruckvoll, dass dem Treiben der<br />
Rechtsextremen durch zivilgesellschaftliche<br />
Aktivitäten im nachbarschaftlichen<br />
Umfeld Einhalt geboten<br />
werden kann, wenn sie professionelle<br />
Hilfe und administrative Unterstützung<br />
finden.<br />
Das beträchtliche Demokratiedefizit<br />
in der <strong>Berliner</strong> Bevölkerung beruht<br />
weithin auf der Unzufriedenheit mit<br />
dem Zustand und der Leistungsfähigkeit<br />
der politischen Ordnung. Es<br />
wird erwartet, dass die Politik für<br />
auskömmliche Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
sorgt. Das bringt mich<br />
zu dem zweiten Ursachenkomplex:<br />
Zwei Drittel der Befragten in Berlin<br />
äußerten <strong>2008</strong> Kapitalismuskritik<br />
und immerhin noch 38 Prozent<br />
wiesen antikapitalistische Einstellungen<br />
auf. Statistische Analysen<br />
zeigen, dass ein enger Zusammenhang<br />
zwischen rechtsextremen und<br />
kapitalismuskritischen bzw. antikapitalistischen<br />
Orientierungen besteht:<br />
Rechtsextreme Einstellungen wachsen<br />
mit der Unzufriedenheit mit unserer<br />
Wirtschafts- und Sozialordnung. Und<br />
diese Unzufriedenheit bietet Andockmöglichkeiten<br />
für die sozialen<br />
Verheißungen der Rechtsextremen,<br />
die dem sozioökonomischen Wandel<br />
und der Globalisierung durch nationalistische<br />
und rassistische Konzepte<br />
begegnen wollen. Daraus folgt<br />
Zweierlei: Diese Konzepte (die uns<br />
allenfalls nordkoreanische Verhältnisse<br />
bescheren) müssen auf breiter<br />
Basis als soziale Demagogie entlarvt<br />
werden. Zugleich muss der Sozialstaat<br />
für eine gerechtere Verteilung der<br />
Einkommen und der Bildungschancen<br />
sorgen. Benachteiligt fühlen sich<br />
diesbezüglich nicht nur die Angehörigen<br />
der Unterschicht, sondern<br />
teilweise auch die der Mittel- und<br />
der Oberschicht. Auch dies lehrt uns,<br />
dass Rechtsextremismus keineswegs<br />
nur in den unteren sozialen Gruppen<br />
gedeiht.<br />
Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie | <strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> <strong>2008</strong>