Berliner Zustände 2008 - Apabiz
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mus positionieren, sich ins Private<br />
zurückziehen oder das Blumenviertel<br />
verlassen. Diese Aktionen und Bedrohungen<br />
sind Teil sozialräumlicher<br />
Dominanzbestrebungen der aktionsorientierten<br />
Rechtsextremen in Rudow.<br />
Die „lokalpatriotische“ Identifikation<br />
Rechtsextremer mit Rudow ist Ausdruck<br />
eines Selbstbewusstseins, das<br />
sich aus der Dominanz im öffentlichen<br />
Raum speist. Beispielsweise<br />
fanden sich um die Rudower Spinne<br />
Aufkleber mit der Parole: „Rudower<br />
Spinne bleibt schwarz-weiß-rot“.<br />
Ein weiteres wichtiges Themenfeld,<br />
auch für jugendliche rechtsextreme<br />
Aktivist/innen, stellt der Geschichtsrevisionismus<br />
bzw. die Verherrlichung<br />
des Nationalsozialismus dar. Regelmäßig<br />
zu den Todestagen von Ikonen<br />
des Nationalsozialismus wie dem<br />
<strong>Berliner</strong> SA-Führer Horst Wessel oder<br />
dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess<br />
tauchen auch in Rudow verstärkt<br />
thematische Propagandamaterialen<br />
auf. Beide sind Kult- und Märtyrerfiguren<br />
der Neonazis.<br />
Ein jährlicher Höhepunkt für die<br />
<strong>Berliner</strong> rechtsextreme Szene ist<br />
der seit 2003 jährlich im Dezember<br />
stattfindende Aufmarsch für ein „Nationales<br />
Jugendzentrum.“ Zu Beginn<br />
von rechtsextremen Strukturen aus<br />
Treptow-Köpenick organisiert und getragen,<br />
machten die rechtsextremen<br />
Aktivist/innen in den kommenden<br />
Jahren nicht vor den Bezirksgrenzen<br />
halt und bezogen zunehmend Rudower<br />
Zusammenhänge mit ein.<br />
Erst nach den Brandanschlägen<br />
machten sich mehr Menschen bewusst,<br />
dass Rechtsextremismus auch<br />
im Süden Neuköllns eine Bedrohung<br />
darstellt. Die oben beschriebenen<br />
rechtsextremen Aktivitäten wurden<br />
von vielen Anwohner/innen jahrelang<br />
nicht wahrgenommen.<br />
Handeln statt Wegsehen:<br />
erste Aktivitäten<br />
Das Blumenviertel ist ein typisches<br />
West-<strong>Berliner</strong> Vorstadtidyll. Die<br />
Familien leben hier in kleinen oder<br />
größeren Häusern, welche von Gärten<br />
umgeben sind. Die Bevölkerungsstruktur<br />
im Viertel zeichnete sich<br />
über Jahrzehnte durch eine große<br />
Homogenität aus, welche vielleicht<br />
noch durch eine zunehmende<br />
Alterung geprägt ist. In den letzten<br />
Jahren zogen sukzessiv junge<br />
Familien mit Migrationshintergrund<br />
ins Blumenviertel. Den neuen Nachbar/innen<br />
wurde jedoch weniger mit<br />
Offenheit als mit Reserviertheit und<br />
Zurückgezogenheit begegnet.<br />
Das Klima im Blumenviertel war<br />
nach den Anschlägen von Angst und<br />
Misstrauen geprägt. Viele Migrant/<br />
innen berichteten in Interviews von<br />
Schlafstörungen und der Furcht, dass<br />
es auch sie und ihre Häuser treffen<br />
könnte. Viele zweifelten am Rückhalt<br />
in der herkunftsdeutschen Bevölkerung,<br />
insbesondere an der Unterstützung<br />
bei Übergriffen. Gleichzeitig<br />
begannen aber auch die Anwohner/<br />
innen aufeinander zu zugehen und<br />
sich füreinander bzw. gemeinsam zu<br />
engagieren. Angeregt durch das Engagement<br />
für Demokratie und gegen<br />
Rechtsextremismus des seit 2006<br />
bestehenden Rudower Aktionsbündnisses<br />
gründete sich eine Nachbarschaftsinitiative<br />
im Blumenviertel.<br />
Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie | <strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> <strong>2008</strong> 43