Berliner Zustände 2008 - Apabiz
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Im Rahmen des Projektes „Intervention gegen Rechtsextremismus“<br />
wurde unter anderem eine aktivierende Befragung im Rudower Blumenviertel<br />
durchgeführt. Ziel war es, wie der Titel der Studie auch besagt,<br />
„Die Wahrnehmung von Rechtsextremismus und das Zusammenleben von<br />
Migrant/innen und Deutschen im Neuköllner Blumenviertel“ zu erfragen<br />
und darauf aufbauend sozialraumorientierte Handlungsstrategien gemeinsam<br />
mit den Akteuren vor Ort zu entwickeln.<br />
Das folgende Gespräch fand mit Uli Bahr und Dr. Nicole Jäckle statt, die<br />
die aktivierende Befragung im Auftrag des Interkulturellen Bildungs- und<br />
Begegnungs- Centrums e.V. durchführten.<br />
Könnt ihr kurz den Rahmen der aktivierenden<br />
Befragung skizzieren?<br />
Insgesamt haben wir 90 Interviews<br />
geführt, davon waren 60 Interviews<br />
mit zufällig angetroffenen AnwohnerInnen<br />
des Blumenviertels, 22<br />
Interviews mit AnwohnerInnen, die<br />
in der Nachbarschaftsinitiative oder<br />
dem Aktionsbündnis Rudow aktiv<br />
sind oder die wir als BesucherInnen<br />
eines Nachbarschaftsfestes ansprachen.<br />
Acht Interviews führten wir<br />
mit ExpertInnen aus dem Kinderund<br />
Jugendbereich, der Kirchengemeinde<br />
und den Initiativen. Unter<br />
den zufällig Befragten waren vier,<br />
unter den vereinbarten Interviews<br />
waren acht Haushalte mit Migrationshintergrund.<br />
Was ist euer Gesamteindruck?<br />
Auffällig war die relativ große Anonymität<br />
im Viertel. Das Blumenviertel<br />
ist ein reines Wohngebiet, bis auf<br />
das Gemeindezentrum der Philip-Melanchton-Kapelle<br />
gibt es keinen Ort<br />
der Begegnung. Der Anteil der RentnerInnen<br />
im Viertel liegt mit etwa<br />
24% über dem <strong>Berliner</strong> Durchschnitt<br />
von etwa 17%. Die Jugendlichen<br />
verbringen ihre Freizeit meist außerhalb<br />
des Viertels. Kontakte bestehen<br />
zwischen den direkten Nachbarn oder<br />
kommen über die Mitgliedschaft in<br />
Sportvereinen oder Engagement in<br />
der Kirchengemeinde zustande.<br />
Im Blumenviertel dominieren Themen<br />
wie Einbrüche und Vandalismus, das<br />
Thema Rechtsextremismus wurde<br />
häufig diesen Themen untergeordnet.<br />
Exemplarisch ist hier die Antwort<br />
eines älteren Ehepaares auf die Frage<br />
zum Rechtsextremismus im Viertel:<br />
„Das haben wir mal in der Zeitung<br />
gelesen… aber noch nichts mitbekommen…<br />
wir wissen ja auch nicht,<br />
wer hier immer die Scheibenwischer<br />
abbricht.“ Bei den zufällig zustande<br />
gekommenen Interviews hatten 2/3<br />
der Befragten keinen Rechtsextremismus<br />
im Blumenviertel wahrgenommen,<br />
allerdings gab es auch AnwohnerInnen<br />
mit einem ausgeprägten<br />
Problembewusstsein. Die Informationsbroschüre<br />
wurde sehr interessiert<br />
aufgenommen.<br />
Zwar äußerte sich ein Großteil der<br />
befragten „deutschen GesprächspartnerInnen“<br />
neutral bis positiv über<br />
den Zuzug von Familien mit Migrationshintergrund,<br />
gleichzeitig waren<br />
Empathie und Solidarität mit den<br />
Opfern der Brandanschläge jedoch<br />
eher gering ausgeprägt. Andererseits<br />
lernten wir auch Nachbarschaften<br />
kennen, die ein sehr gutes Verhältnis<br />
zu den neu hinzugezogenen<br />
Familien mit Migrationshintergrund<br />
haben. In Hinblick auf eine weitere<br />
Vernetzung der Nachbarschaft durch<br />
die Initiative war die Befragung sehr<br />
erfolgreich: Jetzt lässt sich ein sehr<br />
differenziertes Bild vom Zusammenleben<br />
im Blumenviertel zeichnen, die<br />
Potenziale für eine Aktivierung sind<br />
deutlicher geworden – und sie sind<br />
größer, als wir vor der Studie angenommen<br />
hatten.<br />
Wie war die Situation der Migrant/innen<br />
vor den Anschlägen?<br />
Zwei Drittel der von uns befragten<br />
Familien mit Migrationshintergrund<br />
berichteten von sehr distanziertem<br />
und zum Teil abweisendem Verhalten<br />
mancher „Deutscher“ im Viertel.<br />
Sie hatten das Gefühl, dort nicht<br />
willkommen zu sein, etwa wenn sie<br />
beim Einkaufen angeschaut wurden<br />
„als kämen wir vom Mars“, oder bei<br />
Spaziergängen durch das Viertel von<br />
vielen AnwohnerInnen nicht zurückgegrüßt<br />
werden. Eine Befragte<br />
schilderte ihre Wahrnehmung so:<br />
„Positiven Blickkontakt gibt es im<br />
Viertel kaum, ein herzlicher Umgang<br />
ist mit vielleicht 10% der BewohnerInnen<br />
hier möglich. Ich bin hier<br />
sehr unglücklich“.<br />
Hinzu kam, dass sich die Familien<br />
mit Migrationshintergrund untereinander<br />
nicht kannten und sie<br />
teilweise das Gefühl hatten, vereinzelt<br />
und isoliert „unter Deutschen“<br />
zu wohnen. Einige hatten das Gefühl,<br />
sich ungeschriebenen Regeln unterordnen<br />
zu müssen. Uns wurde auch<br />
von zwei Fällen berichtet, wo Familien<br />
mit Migrationshintergrund ihre<br />
Häuser wegen unerträglicher und von<br />
ihnen als rassistisch empfundener<br />
Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie | <strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> <strong>2008</strong> 45