Berliner Zustände 2008 - Apabiz
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E inleitung<br />
Von Annika Eckel (MBR),<br />
Eike Sanders und Ulli Jentsch (apabiz)<br />
„Chaostruppe NPD“, „die NPD hat an<br />
Schlagkraft verloren“, „die NPD steht<br />
vor dem Ruin“ lauten seit Ende <strong>2008</strong><br />
die Schlagzeilen zu den finanziellen<br />
Problemen und internen Machtkämpfen<br />
der NPD. Die rechtsextreme Partei<br />
sei „drauf und dran, sich selbst<br />
zu erledigen“, frohlocken dabei so<br />
einige.<br />
Wenn man, wie der <strong>Berliner</strong> Verfassungsschutz,<br />
die NPD als „zentralen<br />
rechtsextremen Akteur“ bezeichnet,<br />
gerät schnell aus dem Blick, dass die<br />
NPD lediglich der parteiförmige Teil<br />
einer rechtsextremen Bewegung ist.<br />
Die Zustimmung zu rechtsextremen<br />
Ideologieelementen reicht bis in die<br />
Mitte der Gesellschaft. Ein Großteil<br />
derjenigen, die rechtsextreme<br />
Angebote des vorpolitischen Raums<br />
nutzen, sind in der Mehrheit keine<br />
organisierten Rechtsextremen, aber<br />
sie stimmen zumindest in Teilen<br />
ihrer Ideologie zu, beispielsweise<br />
rassistischen oder antisemitischen<br />
Einstellungen. Rechtsextreme Einstellungen<br />
finden sich auch bei<br />
Personen, die nie eine Anbindung<br />
an die rechtsextreme Szene hatten,<br />
sich aber in einem gesellschaftlichen<br />
Umfeld bewegen, in dem Vorurteile<br />
gegen Minderheiten zum Alltag<br />
gehören. Die Opferberatungsstelle<br />
ReachOut spricht von einem besorgniserregenden<br />
Anstieg rassistisch motivierter<br />
Angriffe im Jahr <strong>2008</strong>. Auch<br />
neuere Studien weisen die höchsten<br />
Zustimmungswerte für Rassismus aus.<br />
Jenseits von öffentlichen Kristallisationspunkten,<br />
wie beispielsweise<br />
NPD-Parteitagen oder rechtsextremen<br />
Aufmärschen, wollen fünf <strong>Berliner</strong><br />
Projekte rechtsextreme, rassistische,<br />
nationalistische sowie homophobe<br />
Phänomene beleuchten. Auch in<br />
einer sich als weltoffen präsentierenden<br />
Stadt wie Berlin gibt es genug<br />
Gründe für eine kontinuierliche,<br />
alltägliche Auseinandersetzung.<br />
In ihrer Gesamtheit verfolgen die<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> <strong>2008</strong> das Ziel,<br />
relevante Entwicklungen und Tendenzen<br />
zu analysieren und so eine<br />
alternative Informationsquelle aus<br />
Sicht der Fachprojekte zur Verfügung<br />
zu stellen.<br />
„Eine Frage der Perspektive“ titelt die<br />
Opferberatungsstelle ReachOut und<br />
beschreibt exemplarisch zwei Fälle, in<br />
denen Opfer rechter Gewalt mit einer<br />
rassistischen Behandlung seitens der<br />
Polizei konfrontiert waren. In einem<br />
Fall behauptet diese, lediglich der<br />
Gefahr durch den Betroffenen begegnet<br />
zu sein. Im anderen Fall will die<br />
Polizei zunächst keine rassistische<br />
Motivation beim Tathergang erkennen.<br />
Leider keine Einzelfälle.<br />
Ergänzend zu den von ReachOut<br />
dargestellten Angriffszahlen und der<br />
– auch im Schattenbericht veröffentlichten<br />
– Chronik dokumentieren<br />
seit mehreren Jahren bezirkliche<br />
Registerstellen rechtsextrem, antisemitisch<br />
und rassistisch motivierte<br />
Vorfälle. Exemplarisch stellt die<br />
Lichtenberger Netzwerkstelle Licht-<br />
Blicke ihre Auswertung für das Jahr<br />
<strong>2008</strong> vor und beschreibt, wie Pöbeleien,<br />
Propaganda und Aktionen, die<br />
meist unterhalb der Anzeigenschwelle<br />
liegen, das Klima in einem Bezirk<br />
beeinflussen.<br />
Unter dem Titel „Von weißen Privilegien<br />
reden“ haben wir im letzten<br />
Schattenbericht die Diskussion zur<br />
Instrumentalisierung des Rassismusbegriffes<br />
begonnen. Der Artikel von<br />
Andrés Nader und Yasemin Yildiz<br />
knüpft an diese Beiträge an und<br />
wirft die Frage auf, was kritische<br />
Weißseinsforschung für die Praxis<br />
bedeutet.<br />
Nur einige der zehn von ReachOut<br />
registrierten homophoben Gewalttaten<br />
im letzten Jahr standen im Fokus<br />
der Öffentlichkeit. Insbesondere jener<br />
vom 8. Juni auf eine Gruppe von<br />
Frauen und Transpersonen mitten auf<br />
der Kreuzberger Oranienstraße führte<br />
zu einer großen Solidarisierung mit<br />
den Opfern in der Öffentlichkeit. Ob<br />
diesem Angriff auch dieselbe Aufmerksamkeit<br />
geschenkt worden wäre,<br />
wenn nicht an einem Auto der Täter<br />
ein Aufkleber der „Grauen Wölfe“<br />
gesehen wurde, fragt der Beitrag von<br />
Gladt e.V. und thematisiert, welche<br />
Funktion gesellschaftliche Diskurse<br />
erfüllen, die Phänomene wie homophobe<br />
Gewalt mit Diskursen um<br />
Migration verzahnen.<br />
Und genauso kann anders herum die<br />
Frage gestellt werden: Wäre diesem<br />
Übergriff die gleiche Aufmerksam-<br />
Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie | <strong>Berliner</strong> <strong>Zustände</strong> <strong>2008</strong>