Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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1908 erregt sie mit ihrem Schwertertanz<br />
– nackt – großes Aufsehen und<br />
viel Kritik. Trotzdem erklären sie<br />
Presse und Kritiker zur ersten Nackttänzerin<br />
Preußens. In St. Petersburg<br />
und anderen Städten in Russland<br />
werden ihre Auftritte verboten, und<br />
sogar das Preußische Abgeordnetenhaus<br />
debattiert den Skandal um<br />
Olga Desmonds Nackttänze. Es werden<br />
weitere Auftritte ohne Kostüm<br />
verboten, und so tritt sie fortan in<br />
Gaze gehüllt und mit Schleiern auf, in<br />
sogenannten Nacktkostümen.<br />
Es folgen Engagements im Berliner<br />
Wintergarten, wo sie Otto Reutter ablöst<br />
und eine Gage von 6.000 Mark<br />
erhält. Gastspielreisen führen sie<br />
nach Paris und Wien. Sie beginnt<br />
Tanzstunden zu geben. Ein erneutes<br />
Engagement im Berliner Wintergarten<br />
bringt ihr eine Gage von 15.000 Mark.<br />
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges<br />
1914 zieht sich Olga Desmond von<br />
der Bühne zurück, da das Varieté als<br />
unzeitgemäß und unpatriotisch abgelehnt<br />
wird. Ihr erschließt sich ein neues<br />
Metier: Sie produziert Stummfilme<br />
und übernimmt selbst Hauptrollen,<br />
auch tanzt sie wieder, an der Front<br />
und für wohltätige Zwecke. 1916<br />
wird sie von Otto Reutter, dem Direktor<br />
des Palast-Theaters am Zoo, als<br />
Tänzerin engagiert. 1919 spielt sie an<br />
der Seite von Hans Albers in dem<br />
Film „Mut zur Sünde“ und vollführt lt.<br />
Presse den ersten „offiziellen“ Nackttanz<br />
in einem Stummfilm. Es folgen<br />
mehrere Tanzfilme, in denen sie auch<br />
Hauptrollen übernimmt. Ihre Filmkarriere<br />
endet aber abrupt. Sie gibt die<br />
Publikation „Rhythmographik – Tanznotenschrift<br />
als Grundlage zum<br />
Selbststudium des Tanzes“ heraus<br />
und leitet den Lehrbetrieb „Hochschule<br />
für rhythmische Art“ in Berlin.<br />
Nach ihrer Heirat mit dem Unternehmer<br />
Georg Piek (Farbberatung) arbeitet<br />
sie in dessen Firma in Berlin mit<br />
und zieht sich von der Bühne zurück,<br />
gibt nur noch Gastspiele im Zirkus<br />
Busch und arbeitet hier kurzzeitig als<br />
Ballettmeisterin.<br />
Als 1933 die Machtübernahme der<br />
Nationalsozialisten erfolgt, gerät das<br />
Unternehmen ihres Mannes, der Jude<br />
ist, in Schwierigkeiten. Er begeht 1935<br />
einen Selbstmordversuch, sie führt<br />
das Bühnenausstattungsgeschäft weiter.<br />
1937 versucht sie ebenfalls, sich<br />
das Leben zu nehmen. Georg Piek<br />
arbeitet bis 1939 in Paris, 1942 Konzentrationslager<br />
Belsen, Flucht, 1944<br />
Zuchthaus Coswig, Flucht, ab 1945 in<br />
Frankfurt/Main. Die Ehe existiert nur<br />
noch auf dem Papier. 1958 stirbt er in<br />
einem Altersheim im Taunus.<br />
Olga Desmond arbeitet nach dem<br />
Krieg in Berlin als Putzfrau, verkauft<br />
Fotos, Postkarten, Erinnerungsstücke.<br />
Am 2. August 1964 stirbt sie allein<br />
und vergessen in Berlin. Ihr Grab<br />
ist auf dem St.-Elisabeth-Friedhof in<br />
der Ackerstraße.<br />
Olga Desmond. Nackttänzerin des<br />
wilhelminischen Kaiserreichs? Star?<br />
Für einige Zeitgenossen ist sie die<br />
Duse der Grazie und Tanzkunst,<br />
Schönheitsprophetin, für andere ein<br />
Skandal, ein nacktes Frauenzimmer in<br />
seiner Schamlosigkeit, ein Ärgernis.<br />
nach Jörn E. Runge, Olga Desmond,<br />
Preußens nackte Venus<br />
Steffen Verlag 2009<br />
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