Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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„Das ist verdammig weit weg. Besuchst<br />
hier Verwandte, was?“<br />
„Nö . . . wir sind zwölf Mädchen . . . mit<br />
Rädern unterwegs . . . vier Wochen<br />
durch <strong>Ostpreußen</strong> . . . tolle Sache.“<br />
„Gehörst also auch zu den Marjellens<br />
mit den klobigen Schuhen.“<br />
Michel mochte keine Mädchen, die<br />
wie mit Landsknechtschritten hinter<br />
einem Wimpelträger her liefen. Wie<br />
hübsch wehte dagegen dieses weiße<br />
Kleid im Wind, und das Mieder hatte<br />
die Farbe ihrer Augen, grünblau. Der<br />
weite Rock blähte sich wie weiße<br />
Segel und es sah anmutig aus, wie<br />
sie aufrecht hier in seinem kleinen<br />
Boot stand. Braun gebrannt,<br />
luchterne Marjell.<br />
„Bist denen ausgekniffen, was?“ Sein<br />
ausgestreckter Daumen flog über<br />
seine rechte Schulter, in Richtung<br />
Nidden. „Seid doch in der Jugendherberge,<br />
sicherlich.“<br />
Minka nickte heftig, und sie bekam<br />
einen roten Kopf. Aber das konnte<br />
Michel bestimmt bei der Bräune nicht<br />
erkennen. Es ärgerte sie unbeschreiblich,<br />
dieses Rotwerden; wenn<br />
sie sich irgendwie ertappt fühlte,<br />
auch wenn’s nichts Böses war, sie<br />
nahm stets die Farbe überreifer Tomaten<br />
an. Sie drehte sich zu ihm um.<br />
„Es ist das Wasser, weißt du, ich sah<br />
dich gestern schon und wollte für<br />
mein Leben gern segeln.“<br />
„Bleibt ihr lange . . . ich meine, hier in<br />
Nidden?“<br />
„Ach, wo denkst du hin . . . nur noch<br />
einen einzigen Tag.“<br />
„Schade.“<br />
„Ja.“<br />
„Kommst du morgen wieder?“<br />
„Na klar, du. Wenn Wind geht.“<br />
„Komm auf jeden Fall. Nicht nur<br />
wenn Wind geht.“<br />
„Wenn wir aber nicht segeln können?“<br />
„Na und! Mein Vater sagt immer:<br />
wenn kein Wind geht, rudere.<br />
Er ist ein besonnener Mann.“<br />
„Und das ist ein gutes Wort.“<br />
„Ja.“<br />
„Ich muss es mir merken: wenn kein<br />
Wind geht, rudere!“<br />
„Du kommst also?“<br />
Na klar, Mensch!“<br />
Michel hisste die Segel. Das Boot<br />
glitt pfeilschnell dahin – von einem<br />
guten Wind getragen. So waren auch<br />
die wenigen Stunden, die dieser<br />
<strong>Sommer</strong> ihnen gab. . . .<br />
Michel wartete schon am Steg. Er<br />
hantierte eifrig an seinem kleinen<br />
Boot. Schweißperlen rannen über<br />
sein sommersprossiges Gesicht. Die<br />
Hitze lag wie flimmernde Seide über<br />
dem Tag, und seine Buntheit schien<br />
darunter auszuglühen.<br />
Dann sah er Minka. Auch sie war wie<br />
von Sonne durchdrungen, heiß und<br />
rot. Wie ein gekochter Krebs, fand<br />
Michel. Beim Gasthaus Blode blieb<br />
sie stehen, den rechten Arm legte sie<br />
lachend einem anderen Mädchen um<br />
die ebenfalls sonnverbrannten Schultern.<br />
Sie kreischten wie junge Lachmöwen,<br />
steckten zwei Verschwörern<br />
gleich ihre Wuschelköpfe zusammen<br />
und stoben wieder mit großem Gelächter<br />
auseinander. Die eine jagte in<br />
Richtung Dünen zur Seeseite davon,<br />
Minka zur Haffseite und mit lautem<br />
Hallo auf ihn zu.<br />
In der verblichenen, blauen Leinenhose,<br />
die glatt und prall ihre Glieder<br />
umschloss, den weißen Turnschuhen<br />
und mit dem weißblauen Pulli gefiel<br />
sie ihm noch besser. Er hasste Mädchen<br />
in Uniform, mit Röcken, die<br />
dunkel und streng bis zur halben<br />
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